Erinnerungen an Ersten Weltkrieg gesucht

Private Erinnerungsstücke aus dem Ersten Weltkrieg sammelt das digitale Archiv „Europeana“. Mehr als 130.000 Stück aus 14 Ländern sind bisher zusammengekommen. Am 1. August sollen es bei einem Aktionstag in Wien noch einige mehr werden.

Ein vierseitiger Brief, den ein Soldat am 4. März 1915 von der Front in Neuville an seine Frau und Familie geschickt hat: Er ist ein Stück des digitalen Archivs, zu finden in der Rubrik „Briefe“. Insgesamt 3.570 Schriftstücke sind allein in dieser Rubrik gesammelt, online abrufbar auf knapp 300 Seiten. Jeder Brief ist eingescannt, kann in Vollansicht betrachtet werden und ist versehen mit weiterführenden Informationen unter anderem zu Streitkräften, Kriegsschauplätzen, Zeit, Sprache und Ereignis.

Andere Rubriken sind Postkarten, offizielle Dokumente, Briefe, Tagebücher, Fotos und Filme. All diese Rubriken sind im Bereich „Dokumentenarten“ zusammengefasst. Daneben gibt noch zwei weitere Bereiche: Themen und Kriegsschauplätze. Im Bereich Themen geht es etwa um „Leben im Schützengraben“ oder „Propaganda“. Bei den Kriegsschauplätzen geht es um Seekrieg, Luftkrieg, die Ostfront, die Westfront, die Heimatfront und die italienische Front. Insgesamt finden sich in all diese Bereichen bisher rund 130.000 Erinnerungsstücke.

Fotos und Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg

ORF

Aktionstag in Wien am 1. August

Nun soll die Sammlung auch durch Erinnerungsstücke aus Wien bereichert werden. Briefe und Tagebücher, Prothesen oder Spielzeug, das Väter an der Front bastelten: Die Wienerinnen und Wiener sind aufgerufen, ihre persönlichen Erinnerungsstücke an den Ersten Weltkrieg in das ORF RadioKulturhaus zu bringen. Dort werden sie fotografiert oder eingescannt. Interviewer erfassen zusätzlich die Geschichte der Objekte. Dann können die Stücke wieder mit nach Hause genommen werden.

Aktionstag in Wien

1. August, 10.00 bis 18.00 Uhr, ORF RadioKulturhaus, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien.

Projektleiter Frank Drauschke erzählte davon, dass bei einem Aktionstag in München eine Postkarte aufgetaucht ist, die Adolf Hitler als Gefreiter im Ersten Weltkrieg verfasst hat. an sei gespannt, welche Ergebnisse der Aktionstag in Österreich zutage bringen werde. Die am 1. August erschlossenen Objekte sollen nicht nur in der „Europeana“ online gehen. Sie sollen auch zur Anreicherung künftiger Programmschwerpunkte des ORF dienen, so Herbert Hayduck, Leiter des ORF-TV-Archivs.

Mehr als 12.000 Menschen sind dem Aufruf von „Europeana“ bereits gefolgt, auch online kann man Fotos und Informationen einreichen. „Durch so ein Projekt lassen sich die kleinen Puzzlesteine der Geschichte zusammensetzen“, meinte Drauschke. „Es ist ein Rohdiamant, der jetzt von Nutzern wie Wissenschaftern aber auch Interessierten noch weiter geschliffen werden kann.“

Fotos und Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg

ORF

Online-Ausstellung „An meine Völker!“

Neben privaten Erinnerungsstücken macht Europeana aber auch Teile von institutionellen Sammlungen zugänglich - etwa jene der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), aus der derzeit über 30.000 Digitalisate zu sehen sind. Auch das Wien Museum oder die Universität Wien sind mit kleinen Beiträgen vertreten.

Mit der Ausstellung „An Meine Völker!“ bildet der Erste Weltkrieg noch bis 2. November einen Schwerpunkt in der Nationalbibliothek. Teile der Schau wurden nun in Kooperation mit Europeana zu einer dauerhaften virtuellen Ausstellung umgebaut, die ab sofort online zu sehen ist. Der Vorteil: Die Objekte lassen sich vergrößern und heranzoomen, die Geschichte dahinter werden gleich in mehreren Sprachen mitgeliefert.

„In den meisten Projekten und Ausstellungen zum Gedenkjahr wird der Erste Weltkrieg immer noch als nationaler Krieg mit nationaler Erinnerung verstanden“, kritisierte Hans Petschar, Direktor des Bildarchivs der ÖNB. Physisch gebe es keine Gedenkstätte in Europa, an dem alle nationalen Geschichtsschreibungen zusammengefasst sind - das Web schaffe hier Abhilfe, erklärte Petschar. „Dann können die Menschen selbst entscheiden, was sie glauben“, meinte er.

Plakate, Zeichnungen und Fotografien

Aus der Sammlung der ÖNB sind beispielsweise Zeitungen, Tagebücher und Zeichnungen von Schülern sowie Plakate und unzählige Fotografien zu sehen. „Diese Dokumente sind allerdings nicht unschuldig“, erinnerte Petschar an die Intention, die häufig hinter Gedrucktem und Fotografiertem dieser Zeit stand. Auch hier sollen Erklärungen den Kontext mitliefern.

TV-Hinweis:

Einen „Wien heute“-Beitrag dazu sehen Sie am 22. Juli 2014 ab 19.00 Uhr in ORF 2 und danach on Demand.

Ergänzt wird diese offizielle, oft propagandistische Sicht dann ebenfalls durch private Eindrücke. „Wir wollen Europas kulturelles Erbe im Internet zugänglich machen und die persönliche Geschichte der europäischen Bürger festhalten“, erklärte Ad Polle, Projektkoordinator der Europeana Foundation, den Gedanken hinter dem Projekt und den Aktionstagen. Erstmals setzte man für die technische Gestaltung der Schau auf die Plattform des Google Cultural Institutes, das auch schon das Google Art Project umsetzte.

Auf den Spuren des Weltkriegs mit „Wien heute“

Zahlreiche Erinnerungsstücke aus Privatbesitz sind auch in der Online-Ausstellung „Welt der Habsburger“ zu sehen: Geschütze, ein Kriegsspiel, Flüchtlinge auf einem brüchigen Leiterwagen: Auch hier bilden Fotos und Briefe die Bestandteile für eine virtuellen Zeitreise, die sich dem Ersten Weltkrieg widmet - mehr dazu in Zeitreise in den Ersten Weltkrieg.

In einer mehrteiligen „Wien heute“-Serie hat ORF-Wissenschaftsjournalist Martin Haidinger auf die Spuren der Geschehnisse im Ersten Weltkrieg gemacht. Die bisher gesendeten Beiträge können hier nachgesehen werden - mehr dazu in Auf den Spuren des Ersten Weltkriegs.

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