„Zettelpoet“ nimmt nun Hauptbahnhof ins Visier

Helmut Seethaler alias der „Zettelpoet“ beklebt öffentliche Orte mit seinen Gedichten, die Passanten mitnehmen können. Er will nun sein Klientel erweitern. Vom Hauptbahnhof wurde er jedoch verscheucht, die ÖBB suchen nun das Gespräch.

„Neue Tatorte reizen mich“, sagt Helmut Seethaler. Seine bisherigen Stammplätze sind der Schwedenplatz, Stephansplatz und Karlsplatz. Jetzt wollte er seine Gedichte auch am Hauptbahnhof aufhängen. „Aber die Securities der ÖBB haben mir das untersagt. Es sei nicht gestattet, haben sie gesagt. Die Polizei hat ihnen dann die Anweisung gegeben, meine Gedichte runterzureißen“, so Seethaler. „Die Gänge im Bahnhof sind aber öffentlicher Raum und da habe ich laut Gerichtsbeschluss die Erlaubnis, meine Kunst auszuüben.“

ÖBB wollen Lösung finden

Thomas Keiblinger, Pressesprecher der Polizei, dazu: „Am ÖBB-Gelände herrscht die ÖBB-Hausordnung.“ Seethaler versteht aber nicht, warum es ihm dann am Westbahnhof gestattet wird und am neuen Hauptbahnhof aber nicht. Von ÖBB-Seite heißt es: „Grundsätzlich ist es Ermessenssache des jeweiligen Bahnhofsverantwortlichen, wie mit den Gedichten umgegangen wird. Uns ist aber eine Lösung wichtig und wir werden uns nächste Woche das Thema Hauptbahnhof ansehen und auch mit Herrn Seethaler das Gespräch suchen.“

Seethaler jedenfalls gibt sich hartnäckig. Gleich am nächsten Tag, nach dem Vorfall am Hauptbahnhof, kehrt er zurück an den Ort des Geschehens: „Dann häng ich meine Gedichte heute eben nur auf der Seite der Wiener Linien, also direkt beim U1-Aufgang, auf.“ Gesagt getan: Mit Tixo-Band umklebt er die weißen Säulen im Gang zwischen der U-Bahn und dem Bahnhof. „Hier sehen die Leute es.“ Auf das Tixo klebt er kleine Zettelchen auf denen Gedichte von ihm stehen. Dazwischen hängt er eine Hinweistafel mit der Aufschrift „Pflück-Gedichte“.

Wiener Linien: „Wir entfernen die Zettel immer“

Viele U-Bahn-Fahrer, die vorbeikommen, laufen an den Gedichten vorbei und nehmen kaum Notiz davon. Vereinzelt bleibt jedoch jemand stehen, schaut und nimmt sich dann ein Zettelchen mit oder macht ein Foto mit dem Handy davon. „Das hat sich schon verändert. Ich mach das jetzt seit 1973 und in den letzten Jahren hat es schon einen Wandel gegeben. Die Gedichte bleiben picken, dafür machen die Leute Fotos davon, oft vom Gesamtkunstwerk - also der Kollage, die aus den einzelnen Zetteln entsteht.“

Wenn ein Passant Seethaler anspricht, sind die Meinungen verschieden und reichen von „Danke für Ihre Kunst“ bis zu „Und was ist, wenn das jeder macht?“. Auch Anna Reich, Pressesprecherin der Wiener Linien, sagt: „Es gibt mehrere Verfahren wegen Sachbeschädigung gegen Seethaler und es gibt bei uns keine Stellen, wo er seine Gedichte aufhängen darf. Wir entfernen seine Zettel immer.“

Bereits mehr als 4.000 Anzeigen

„Es hat schon über 4.000 Anzeigen gegen mich gegeben, ich hatte hunderte Vorladungen und Gerichtsverhandlungen, sowie Strafen aller Art. Und in 99 Prozent der Fälle habe ich in Berufung gegen diese Strafen gewonnen. Ich werde weiter auf Bahnhöfen präsent sein, weil ich dort mein Klientel erreiche“, so Seethaler. Außerdem erkannte der Oberste Gerichtshof vor knapp zwanzig Jahren seine „Literatur zum Pflücken“ als „anerkannte Kunstform an, solange sie keinen Schaden hinterlässt“. „Und das tut sie nicht“, sagt der Poet.

Vergangenes Jahr machte Seethaler eine kleine Pause von seinem Gedichte-Kleben. Doch: „Der Reiz der Provokation hat mir gefehlt. Auch meine Töchter meinen, dass ich wohl erst aufhören werde, wenn ich keine Anzeigen mehr bekomme, weil mir dann fad wird.“

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