Das Leben jenseits der Hochglanzbroschüre

Hinter Fassaden und in Gebüschen verstecke sich Armut in Wien, so schildert es Uwe Mauch. In seinem neuen Buch „Die Armen von Wien“ macht der Autor und Kurier-Redakteur die Menschen am Rande der Gesellschaft sichtbar.

Zwei Jahre lang dauerten die Recherchen von Uwe Mauch. Geprägt von Begegnungen und Erfahrungen, die nicht spurlos an ihm vorbei gingen, wie er gegenüber wien.ORF.at zugibt. „Es hat mich tatsächlich demütig gemacht. Denn es war keine persönliche Leistung, dass ich nicht in Syrien oder Nigeria geboren wurde und nicht in prekären, zerrütteten Familienverhältnissen aufwachsen musste. Dass ich in einem Land lebe, in dem es keinen Krieg, keine Hungersnöte und ausreichend Wasser gibt.“

Uwe Mauch

Michael Mazohl

Uwe Mauch ist seit 1995 Redakteur beim Kurier. Zu Büchern wie „Lokalmatadore“ und „In 80 Arbeitstagen um die Welt“ reiht sich nun sein neues Werk „Die Armen von Wien“. Er hofft damit wohlhabendere Menschen zu erreichen, aber weiß genau, dass er nicht alle Missstände aus dem Weg räumen kann: „Eine fromme Hoffnung, denn mit so einem schmalen Buch kann man nicht die Welt retten.“

Mit 13 Sozialreportagen in der Tradition von Sozialreporter Max Winter gewährt Mauch Einblicke in die Seite von Wien, die für viele unbekannt ist. Zu Winters Zeiten, um die Jahrhundertwende, waren Verarmung und Elend in Wien keine Einzelfälle, sondern die Regel. Heutzutage muss man sie offenbar suchen. Dafür hat der Kurier-Redakteur gemeinnützige Organisationen aber auch bedürftige Menschen besucht.

Streetworker und Ärzte als Rettungsanker

„Donauinsel und Donaubrücken sind Fixpunkte“ stellt Mauch in „Die Armen von Wien“ fest. Für seine Recherechen hat er beispielsweise den Kältebus der Caritas auf seinen nächtlichen Touren begleitet. Es sind Streetworker, die seit 2012 durch das nächtliche Wien ziehen, und den Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen, die über das Kältetelefon eingehen. Dort ist Mauch auch auf die so genannten „Bush People“ gestoßen. Obdachlose, die im Verborgenen, etwa auf einer Lichtung des baumhohen Dickichts ihr Zelt aufschlügen. Dort, wo sie unerkannt bleiben.

Auch die Notfallambulanz „AmberMed“, die seit 2004 Menschen ohne Krankenversicherung behandelt, war eine seiner Stationen. Dort werden von den ehrenamtlichen Ärzten und Helfern nicht nur physische Krankheiten diagnostiziert. „Der zweite Mensch, der an diesem Vormittag das Behandlungszimmer beruhigter verlassen kann. ‚Diagnose: Verzweiflung‘,sagt der Arzt,“ heißt es in „Die Armen von Wien“. Frustration und Zukunftsängste seien dort in etlichen Fällen die Befunde für die jährlich rund 2.000 Patienten, die häufig Migrationshintergrund haben.

Aber auch eine steigende Anzahl von Österreichern sei von Armut betroffen. „In jener Stadt, die sich in allen internationalen Wohlfühlrankings ganz oben sieht, sind laut amtlicher Statistik immerhin 184.000 Menschen von Armut betroffen“, beklagt er schon im Vorwort seines Buches. Besitzlosigkeit werde in Wien bewusst versteckt. Und zwar von den Betroffenen selbst, weil sie aus Scham ihre Probleme nicht gerne nach außen trügen, vermutet der langjährige Redakteur.

„Warum haben andere Kinder genug zu essen?“

Obwohl die Armut in Wien unsichtbar zu sein scheint, findet man sie doch in allen Altersschichten. Mauch hat Menschen begleitet, die ihre Miete nicht mehr zahlen konnten und nun auf der Straße ohne Obdach leben. Oder solche, die auf Mietschwindler reingefallen sind. Migranten und Flüchtlinge, die nur schwer in Wien Fuß fassen oder jahrelang auf einen positiven Asylbescheid warten müssen. Darunter auch viele Akademiker, die man aber in Wien nicht als solche willkommen heiße.

Cover die Armen von Wien

ÖGB Verlag

Das Buchcover von „Die Armen von Wien“ von Uwe Mauch

Menschen, die jahrelang nicht mehr beim Zahnarzt waren, und sich daher genieren einen aufzusuchen. Die Folge ihrer Zahnlosigkeit sei die Vermeidung sozialer Kontakte, vor lauter Scham. „Im Gespräch mit anderen Menschen, beim Arzt oder im Supermarkt, hält sie sich ständig die Hand vor den Mund“, beschreibt Mauch die „Mundtote“.

Auch Kinder seien in Wien von Armut betroffen. Keine Seltenheit seien Kinder, die mit leerem Magen und ohne „Jausensackerl“ zur Schule kommen. Oder Kinder Alleinerziehender, die die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister trügen, während ihre Eltern mit zahlreichen Jobs versuchten die Haushaltskasse aufzubessern. Kein Einzelfall in Wien, in Mauchs Buch erzählt anhand der 14-jährigen Petra aus Ottakring. „Sie kann abends nicht einschlafen. Weil sie so viel nicht versteht. Warum ist es in der Wohnung so kalt? Warum wächst an den Wänden Schimmel?“

„Mit so einem Buch kann man die Welt nicht retten“

Durch seine Tätigkeit bei der Straßenzeitung „Augustin“ war Mauch die Armut in Wien nicht fremd. „Damals öffnete sich für mich auch ein intimes Fenster in Lebenswelten von Wien, die in den Hochglanz-Broschüren der Stadt Wien nie abgelichtet werden“, so schildert Uwe Mauch seine Zeit als Trainer der Fußballmannschaft vom „Augustin“. Bei der Straßenzeitung schreibe er bereits seit 16 Jahren für jede Ausgabe.

Für ihn sei es wichtig, dass man die Armen und Hilfsbedürftigen zunächst einmal als Menschen wahrnehme, auf Augenhöhe und nicht von oben herab. Und auch wenn der Kurier-Journalist es „eine fromme Hoffnung“ nennt mit seinem Buch ein Umdenken bei den Wohlhabenderen zu bewirken, hofft er doch einige zu erreichen: „Wenn ich aber wenigstens ein paar Leuten die Augen öffnen und zum Helfen anstiften kann, dann waren meine Recherchen nicht ganz umsonst.“

Daniela Körner, wien.ORF.at

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