Kofferdoktor ordiniert in Margareten

Gerhard Mosovskys große Leidenschaft ist es, Koffer von ihren Verletzungen zu heilen. In seiner „Ordination“ im fünften Bezirk hat er ein riesiges Ersatzteillager. Er setzt auf Nachhaltigkeit und möchte „Kaputtes wieder zum Leben erwecken“.

„Herr Mosovsky!“, ruft Frau Mosovsky die Stiegen hinauf. „Wahrscheinlich liegt er gerade in einem Koffer“, seufzt sie. Wenige Augenblicke später steht Gerhard Mosovsky, der Kofferdoktor, in seinem Geschäftsraum in Margareten. Den Spitznamen verdankt er dem Pressesprecher des Wiener Flughafens, der 1990 in einer Flughafen-Zeitung publizierte: „Der Kofferdoktor ordiniert jetzt am Flughafen Wien.“

23 Jahre für den Flughafen

Dort hat Mosovsky 23 Jahre damit verbracht, Koffer zu reparieren. Sein Unternehmen hatte einen Vertrag mit allen Airlines auf dem Flughafen, man kümmerte sich um Flugschäden und andere anfallende Kofferreparaturen. Eigentlich ist Mosovsky gelernter Sattler, genau wie der Vater, Großvater und auch der Sohn. Die Sattlerei war immer ein zweites Standbein. Vom Flughafen ist er schon lange weg, die Koffer sind allerdings geblieben.

Die repariert er jetzt wieder im alten Geschäftslokal in der Stolberggasse. Früher war hier ein Lederwarengeschäft, heute von allem ein bisschen: Der Sohn kümmert sich um das Leder, Herr Mosovsky um die Koffer, und Frau Mosovsky schaut, das sonst alles rund läuft. Ein richtiges Familienunternehmen eben. Nur die Geschäftssituation hat sich geändert.

„Nachhaltig ist die Situation nicht“

„Heute werden die meisten Koffer von den Fluglinien nach Frankfurt geschickt und dort repariert“, sagt Mosovsky, „das erschwert die Situation für die Reisenden, die dann auf ihre Koffer warten müssen.“ Nachhaltig klingt das nicht, und für Mosovsky ist es auch wirtschaftlich problematisch. Von zehn Mitarbeitern ist der Betrieb auf drei geschrumpft.

Er bedient nun vor allem eine Stammkundschaft, die sich durch Mundpropaganda vergrößert, und macht Garantiereparaturen für verschiedenste Kofferhersteller. „Inzwischen gibt es auch Fluglinien, die wieder zurückkommen, weil sie wieder Vor-Ort-Reparaturen möchten“, sagt Mosovsky jedoch. 50 Prozent der Reparaturen könne er tatsächlich direkt an Ort und Stelle durchführen, vor allem aufgrund seines riesigen Ersatzteillagers.

Tüfteln, bis das Problem gelöst ist

Für eine Reparatur braucht der Kofferdoktor fünf Minuten bis eine Stunde, am häufigsten seien das Gestänge oder die Rollen defekt. „Es gibt natürlich Fälle, wo man nur zwei Schrauberl dreht, aber manchmal sitze ich auch länger. Ich verrechne aber immer dasselbe“, erzählt er. Das gleiche sich insgesamt wieder aus.

Kofferdoktor

Sarah Nägele

„Manche Sachen kann man nicht mit Geld bezahlen“

Lieber investierte er eine Stunde und habe er einen zufriedenen Kunden, sagt Mosovsky: „Das lachende Gesicht eines Kunden, der seinen Koffer zurückbekommt - manche Sachen kann man nicht mit Geld bezahlen.“ Ein bisschen Geld müsse man natürlich trotzdem verdienen. Das Geschäft mit den Koffern aufzugeben, darüber habe er aber nie nachgedacht. Überhaupt scheint der Kofferdoktor nicht gerne aufzugeben. Er tüftelt lieber so lange, bis er eine Lösung findet.

Für manche Kunden ist der Koffer ein Kind

Einmal musste Mosovsky einer Dame, die bei einer Airline arbeitete, sagen, dass es für ihren Crew-Koffer keine Ersatzräder mehr gebe und er ihn durch einen neuen ersetze. „Sie sagte mir damals, dass ich ihr Kind wegnehme“, erzählt Mosovsky mit großen Augen. „Drei Nächte habe ich gegrübelt und es schließlich geschafft, den Koffer zu retten.“ Seine Arbeit sieht er als Berufung, „so wie ein Arzt berufen wird“. Das Schöne daran sei, etwas Kaputtes wieder zum Leben zu erwecken.

Für spezielle Fälle hat Mosovsky in einer kleinen Werkstatt neben dem Geschäftsraum einen Berg von alten Koffern aus aller Herren Ländern gesammelt. Das sind die „Organspender“. Sonntags sitzt der Kofferdoktor hier, hört Radio und schraubt die Koffer auseinander. So gewinne er Ersatzteile, die man nirgends mehr bestellen könne.

Das Lager „platzt aus allen Nähten“

Im ersten Stock erstreckt sich ein Ersatzteillager über das ganze Stockwerk. Sorgfältig sortierte Boxen und Kartons voller Kofferrollen, Gestänge und Griffen stapeln sich bis unter die Decke, dazwischen Werkbänke und Lederbezüge. „Früher waren die Koffer alle nach einer ähnlichen Anatomie aufgebaut, das hat sich aber geändert.“ Mosovsky lässt den Blick durch den Raum schweifen, „deswegen platzen wir hier langsam aus allen Nähten“.

Auch qualitativ könne man einen deutlichen Unterschied zu Koffern von früher erkennen, meint Mosovsky und verzieht das Gesicht. „Fast alle Produzenten haben die Produktion vollständig in den fernen Osten ausgelagert, um billig zu produzieren. Das merkt man qualitativ auch.“

Hochsaison ist zu Beginn der Ferien

Zu Beginn der Schulferien läuft der Betrieb auf Hochtouren: „Der Koffer steht ein Jahr im Schrank, und dann muss es aber ganz schnell gehen.“ Selbst verreist Mosovsky eher selten, das Flugzeug nimmt er nicht so gerne: „Maximal zwei Stunden, das ist genug“, sagt er schmunzelnd.

Aber wenn, dann wird der Urlaub nach dem Spielplan des SK Rapid geplant. Der Fußball ist neben den Enkeln nämlich die zweite Leidenschaft des Kofferdoktors von Margareten. Und wenn Mosovsky sich entspannen will, dann fährt er in den Garten und bewundert die Natur. Die repariert sich schließlich von alleine.

Sarah Nägele, wien.ORF.at

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