Bildende: Kunst als Zugang zu NS-Geschichte

„Laboratorium Österreich“ nennt sich eine Ausstellung im xhibit in der Akademie der Bildenden Künste. Anhand von Kunstprojekten wird untersucht, wie Familie, Museen, Archive oder die Zivilgesellschaft mit der NS-Vergangenheit umgehen.

Friedemann Derschmidt beschäftigte sich in „Reichel Komplex“ mit der NS-Vergangenheit seiner Familie, besonders jener seines Urgroßvaters Heinrich Reichel, der ein bekannter Eugeniker war. Neben einer Ideologie-Mindmap finden sich auch Stammbäume und ein Ausschnitt aus der interaktiven Plattform, die Derschmidt für die Nachkommen der Familie geschaffen hat. In zwei Vitrinen präsentiert er Artefakte aus dem Familienbesitz – von einer NS-Aufklärungsbroschüre bis hin zu einem originalen „Ahnenpass“.

Bücher, Fotos, Trompete und Ahnenpass von Heinrich Reichel. Zusammengestellt von Friedemann Derschmidt in einer Ausstellung in der Akademie der Bildenden Künste

Claudia Rohrauer

Friedemann Derschmidts Installation „Reichel Komplex“

NS-Erbschaft mit Kunst aufarbeiten

Als Teil des Art Based Research Project „MemScreen“ präsentiert die Ausstellung „Laboratorium Österreich“ in der Akademie der Bildenden Künste Kunstprojekte, die an konkreten Beispielen untersuchen, wie die eigene Familie, Organisationen der Zivilgesellschaft, Museen oder Archive mit ihrer speziellen Erbschaft umgehen und wie Geschichte im öffentlichen Raum verhandelt wird. Ein öffentlich zugängliches Archiv setzt die Exponate mit Material aus der Forschung in Zusammenhang.

„Die Ausstellung zeigt auch, wie man sich im Jahr 2013 auf ganz neue und andere Weise der Frage nach Österreich, dem Nationalsozialismus und der Zweiten Republik nähern kann“, so Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie.

„Zeitgenössische Auseinandersetzung mit Mythen“

„Laboratorium Österreich“ verstehe sich als Ergänzung zu den momentan im Zuge des Gedenkens an den 75. Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich sehr traditionellen Zugängen zu Geschichte, erklärte Blimlinger. „Bei uns steht dagegen die zeitgenössische Auseinandersetzung mit Mythen im Zentrum. Die Ausstellung soll zeigen, wie aus einem künstlerischen Zugang heraus eine neue Betrachtungsweise möglich ist.“

Zunächst befassten sich Tal Adler und Karin Schneider mit „Zersprengten Fragmenten“ mit der Erinnerungskultur in ganz Wien und begaben sich auf die Suche nach lokaler Geschichtspolitik. Ein Erinnerungsraum in Wien Landstraße, auf dessen Wänden alle Namen der ehemaligen jüdischen Bewohner eingeschrieben sind, steht dabei neben Fotos aus dem Bezirksmuseum Floridsdorf im Mittelpunkt.

Bezirksmuseum Floridsdorf

Bezirksmuseum Flordisdorf, Wien, 2012

Teil des Projekts „Zersprengte Fragmente“: Das Bezirksmuseum in Floridsdorf

Dabei gingen den Fotografien lange Gespräche mit den jeweiligen Kuratoren der Museen voraus, wie Schneider erklärte. „Wir wollten nicht nur über die Erinnerung berichten, sondern Teil des Prozesses sein“, sagte sie. Das zeigt sich auch im Projekt „Freiwillige Teilnahme“, wo sie Institutionen mit einer Geschichte bis vor 1938 um ein Gruppenfoto bat. Aus dieser Anfrage habe sich dann häufig ein Prozess der Geschichtsaufarbeitung ergeben, an dem die Künstler auch aktiv teilnahmen, schilderte die Initiatorin.

Durch die Wasserwaage fotografiert

In der Fotoserie „Leveled Landscapes“ offenbart sich die Erinnerung und Geschichte oft erst auf den zweiten Blick. Um auf die Künstlichkeit und Konstruktion jeder Landschaft hinzuweisen, fotografierte Tal Adler durch eine Wasserwaage.

Motive sind etwa der „Yes to all“-Schriftzug der Swarovski-Kristallwelt, der auf die NS-Verstrickungen der Familie hinweisen soll – oder die romantisch-verschwommene Viehofener Seenlandschaft, die einst ein Konzentrationslager für ungarische Zwangsarbeiter beherbergte.

Fotografie durch eine Wasserwaage

Tal Adler

Durch die Wasserwaage fotografiert: Swarovski-Kristallwelten in Wattens

Wichtig sei es auch gewesen, jede Arbeit in einen historischen Kontext zu setzen, so Schneider. Deshalb steht den Besuchern der Ausstellung ein kleines Archiv zur Verfügung, in dem sie Hintergründe und wissenschaftliches Material zu den einzelnen Fotos nachlesen können.

Kontinuität jüdischer Kultur im Fokus

Shimon Lev begibt sich im Projekt „Family Photo Diary“ in Wien auf die Suche nach seiner Familie. Sein Vater, der Physiker William Löw war das einzige Familienmitglied, das nicht im Holocaust ermordet wurde. Levs Arbeit stellt Fragen nach der Kontinuität jüdischer Kultur, der Katastrophe und der Zerstörung die ihr im Holocaust widerfuhr.

Ausstellungshinweis:

Akademie der Bildenden Künste, xhibit, Schillerplatz 3, 1010, 22. März bis 28. April, Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt frei

Aber auch der Blick von außen wird im „Laboratorium Österreich“ thematisiert: Die israelische Künstlerin Michal Bar-Or ließ die Stadt Wien und ihre Geschichte mit einer Kamera in der Hand auf sich wirken.

Die Ausstellung, die ein „Zwischenergebnis“ des künstlerischen Forschungsprojekts „MemScreen“ darstellt, wird auch von einem Rahmenprogramm begleitet: Neben historischen Vorträgen wird auch ein Workshop mit den Leitern der Lokal- und Bezirksmuseen abgehalten.

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