Missbrauch: Externe Kommission

Eine externe Kommission soll die Missbrauchsvorwürfe zweier ehemaliger Zöglinge des früheren Kinderheimes im Schloss Wilhelminenberg prüfen. Das Wiener Jugendamt sucht einen pensionierten Richter als Leiter der Kommission.

Johannes Köhler, Leiter des Wiener Jugendamts (MA 11), kündigte die Schaffung der externen Kommission am Montag in einer Pressekonferenz an. „Das wollen wir genau geprüft haben“, betonte er. Die betroffene Anstalt am Wilhelminenberg wurde im Jahr 1977 aufgelassen.

Leere Betten in Saal

ORF

Vorwürfe werden geprüft

Konkret soll untersucht werden, ob die Vorwürfe, die die beiden Frauen erhoben haben, „der Tatsache entsprechen“. Die Frauen erzählten unter anderem von Kinderprostitution und Serienvergewaltigungen - und das über einen längeren Zeitraum. Aus diesem Grund werde derzeit ein pensionierter Richter oder Staatsanwalt gesucht, der als Leiter der Kommission fungieren soll, so Köhler. Die Ergebnisse sollen in einem Abschlussbericht zusammengefasst werden. „Wenn dieses System gewesen wäre, dann müssten alle mitgespielt haben. Das wäre wie eine kriminelle Organisation“, meinte Köhler.

Laufend melden sich neue Opfer

Der Vorwurf, dass organisiert minderjährige Mädchen zur Prostitution vermittelt wurden seien, sei „schwerwiegend“: „Das würde nämlich bedingen, dass alle diese früheren Erzieherinnen, die hier gearbeitet haben, davon gewusst haben und alle unter eine Decke gesteckt sind“, so Köhler. Das sei etwas, was man nicht so einfach im Raum stehen lassen könne. „Wir prüfen das ganz genau und schließen das nicht aus“, betonte Josef Hiebl von der Leiter der Gruppe Recht der MA 11. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe am Sonntag würden sich „viertelstündlich“ Zeitzeugen melden. Diese würden eingeladen werden, mit der Kommission zu reden.

MA11-Chef Köhler

APA/Neubauer

Leiter der MA11, Johannes Köhler

Köhler berichtete am Montag, dass zwei Sozialpädagoginnen, die im 1977 geschlossenen Heim am Wilhelminenberg arbeiteten, auch heute noch ihren Dienst versehen: eine in einer Wohngemeinschaft, die andere beim betreuten Wohnen. Bei zwei weiteren Erzieherinnen laufe derzeit das Pensionierungsverfahren. Mit den vier Frauen sei bereits gesprochen worden. Sie hätten die Vorwürfe bestritten.

Zeitzeuge: „In dieser Dimension nicht vorstellbar“

Das Schloss Wilhelminenberg war von Anfang der 1960er Jahre bis 1977 ein Heim für Sonderschülerinnen. Auch ein ehemaliger Mitarbeiter war am Montag bei der Pressekonferenz anwesend: Der ehemalige Sozialpädagoge Hans Feigelfeld hat zu jener Zeit in einem Seitentrakt des Gebäudes gearbeitet, er war Leiter eines reformpädagogischen Projekts. Mit dem Heimbetrieb, habe er nichts zu tun gehabt: Er sei der Heimleitung nicht hierarchisch unterstellt gewesen, auch mit den Erzieherinnen habe es nur minimalen bis gar keinen Kontakt gegeben.

Archivvideo aus Kinderheim am Wilhelminenberg

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Zu den nun bekanntgewordenen Vorwürfen meinte Feigelfeld: „In dieser Dimension ist es für mich nicht vorstellbar.“ Das übersteige seine Fantasie an technischen Möglichkeiten. 20 Kinder über so lange Zeit zu vergewaltigen, ohne dass es von der Umwelt bemerkt wird, ist für ihn unvorstellbar. Betroffene würden darüber reden oder Körpersignale senden: „Dass das über Jahre nicht passiert ist, bei keinem einzigen Kind“, ist für ihn ein Grund an den Darstellungen in dieser Form zu zweifeln.

Der Anwalt der betroffenen Frauen, Johannes Öhlböck, hat unterdessen in einem Ö1-Interview die Stadt kritisiert. Diese sei seit Juli informiert gewesen sein, weitere Schritte seien aber nicht erfolgt - mehr dazu in oe1.ORF.at. Der zuständige Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) bestätigte, dass ein entsprechender Brief eingegangen ist. Den Vorwurf der Untätigkeit wies er zurück: Man habe die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ informiert und eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht, so Oxonitsch.

Stadt versprach rasche Hilfe

In einem „Wien heute“-Interview hatte Oxonitsch eine rasche Untersuchung angekündigt. „Wir haben die Verantwortung wahrgenommen, einerseits durch die Anerkennung, andererseits durch Entschädigungszahlungen und durch die Übernahme der Therapiekosten - es gibt natürlich auch eine juristische Komponente, die haben die Gerichte zu untersuchen“, so Oxonitsch. Strafrechtlich sind die Vorwürfe allerdings verjährt.

Die Frage nach Konsequenzen für den für die damalige Heimleitung und Inspektoren politisch Verantwortlichen will Oxonitsch „festmachen, wenn wir die Vorwürfe überprüfen konnten. Ich gehe davon aus, dass wir das ganz zügig und lückenlos machen.“

Anwalt fordert mehr Geld

Den beiden Schwestern wurden je 41.000 Euro Entschädigung angeboten. In einem „Kurier“-Interview erhoben sie am Montag weitere Vorwürfe und nannten auch eine Betreuerin. Der Anwalt der Frauen forderte jedenfalls nach ihrem Martyrium im Kinderheim am Wilheminenberg deutlich mehr Geld. Er wendete sich in einem Aufforderungsschreiben nach dem Amtshaftungsgesetz an die Stadt Wien, um Schadensersatz und die Übernahme von Therapiekosten einzufordern. Details will er bei einer Pressekonferenz am Dienstag bekanntgeben.

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Erschüttert zeigte sich die Opfer-Organisation Weisser Ring. „Die Dimensionen sind entsetzlich, ich habe mir das einfach nicht vorstellen können, dass so etwas systematisch in diesem Ausmaß passiert“, sagte Udo Jesionek, Präsident der Organisation Weisser Ring, in einem „Wien heute“-Interview.

Knapp 400 Opfer von Gewalt in Wiener Heimen haben sich bisher gemeldet. Für sie stellt die Stadt insgesamt 5,8 Millionen Euro an Schadenersatz und Therapiekosten zur Verfügung.

Langsame Reform der Kinderheime

Vom Großheim zur Wohngemeinschaft: So könnte man den Reformprozess bei Wiener Kinderheimen kurz zusammenfassen. 1995 wurde jener Prozess gestartet, der die Schließung von Großheimen zur Folge hatte. Seither wird auf Wohngruppen gesetzt. Disziplinierung, körperliche Misshandlung und ein nach außen hin abgeschlossenes Leben waren allerdings Teil des Konzepts der Nachkriegszeit - mehr dazu in wien.ORF.at.

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