Heimreformen von vielen ausgebremst

Die katastrophalen Zustände in Wiener Heimen waren den Verantwortlichen der Stadt Wien schon Anfang der 1970er Jahre bekannt. Das sagte die ehemalige SPÖ-Nationalratsabgeordnete Irmtraut Karlsson. Reformen seien damals aber von vielen Menschen gebremst worden.

Karlsson hat, als sie noch selbst in der Wiener Verwaltung tätig war, mit ihrem 1974 verfassten Bericht „Verwaltete Kinder“ einen der Grundsteine für die folgenden Heimreformen gelegt. Zu der Situation damals sagt sie heute: „Reformen hat es gegeben, aber ich fand, dass es zu langsam gegangen ist.“ Gebremst habe jedoch nicht die Politik, sondern die Beamten.

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„Die Bremser waren aber die Beamten“, so die frühere SPÖ-Politikerin. Die Verwaltung wäre bei einer sofortigen Auflassung von Heimen nämlich vor dem Problem gestanden, dass sie Bedienstete hätte versorgen müssen. Denn: Die Mitarbeiter in den Heimen, egal ob Erzieher oder Küchengehilfe, seien pragmatisiert gewesen.

Karlsson: „Viele trauen sich jetzt erst“

Anzeichen, dass es zu Serienvergewaltigungen oder Kinderprostitution gekommen sei, habe sie damals nicht feststellen können, so Karlsson: „Das hätten sie uns auch nicht gezeigt.“

Schloss Wilhelminenberg, Archivaufnahme

ORF

Heim auf dem Wilhelminenberg

Erstaunlich sei hingegen gewesen, was tatsächlich bei den Besuchen „ungeniert“ präsentiert worden sei - etwa Betten in der Mitte eines Schlafsaales, in denen die Bettnässer schlafen mussten. Dass auch seit Jahrzehnten bekannte Fakten jetzt wieder für große Aufregung sorgen, liegt laut Karlsson an der jüngeren Geschichte, vor allem an den Vorfällen in der katholischen Kirche. Dadurch sei ein ganz anderes Bewusstsein entstanden: „Viele trauen sich jetzt erst, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Vorher haben sie vielleicht Angst gehabt, nicht gehört zu werden.“

Die Fokussierung auf die ganz schweren Fälle - etwa die behaupteten Serienvergewaltigungen - ist laut der Berichtsautorin nicht unproblematisch. Auf die alltägliche Gewalt, das Ausgeliefert- und Eingesperrtsein werde kaum eingegangen.

Alltag in Heimen erinnert an NS-Zeit

Schwarze Pädagogik, sozialpädagogische Großheimstrukturen und Erziehungsmaßnahmen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die zum Teil noch in den Menschen fortwirkten: Aus diesen drei Elementen setzt sich nach den Worten des Wiener Kinder- und Jugendpsychiaters Ernst Berger die Geschichte der Heime zusammen, in denen in den 1960er und 1970er Jahren Buben und Mädchen aus schwierigen Verhältnissen untergebracht wurden.

Archivvideo aus dem Kinderheim

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Disziplinierung, körperliche Misshandlung und ein nach außen hin abgeschlossenes Leben waren Teil des Konzepts der Nachkriegszeit. Laut Experten erinnerte der Alltag in so manchen Großheimen noch in den 1950er Jahren an die NS-Zeit - aus der anfangs sogar noch die rechtlichen Grundlagen stammten - mehr dazu in wien.ORF.at.