Missbrauch: Ähnliche Fälle auch heute?

Nach den Missbrauchsvorwürfen im früheren Heim auf dem Wilhelminenberg fürchtet der Bildungswissenschafter Stefan Hopmann, dass es solche Fälle immer noch gibt. Die Strukturen würden Fehlverhalten erlauben.

„Die Tatortstruktur hat sich geändert“, führte der Bildungsforscher aus. Die Anzahl der totalen Institutionen ist weniger geworden, sie wurden in kleinere Einheiten aufgelöst. Die erfreuliche Nebenfolge davon: „Wenn sich jemand vergreift, dann kann er es nicht mehr so großflächig tun.“

Schwarze Pädagogik gibt es heute nicht mehr so häufig, „aber immer noch“, so Hopmann. „Die Aufklärung hat die Menschheit nicht über Nacht überschwemmt“, sagte der Professor an der Wiener Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft mit Schwerpunkt Schul- und Bildungsforschung. Es sei weniger ein pädagogisches als ein institutionelles Problem. „Man muss begreifen, dass es in der Logik solcher Institutionen liegt. Totale Institutionen erlauben Missbrauch und ermöglichen dies Menschen, die das suchen.“

Heime in Österreich später modernisiert

Waren die Erzieher der 60er und 70er Jahre also alle Sadisten? „Die Pädagogen sind nicht besser als ihre Umwelt. Die meisten Missbrauchsfälle passieren in der Familie“, sagte Hopmann, dahinter rangieren bereits Institutionen wie Schulen und Vereine.

Österreich sei ein Spätmodernisierer, das kulturelle Bewusstsein sehr traditionell aufgestellt. Das könne man auch in der Schulkultur beobachten. Hierzulande schaue man rückblickend nicht darauf, was schiefgegangen ist, „sondern tut, als ob früher alles gut gewesen wäre“, meinte Hopmann. Aber genau das, was man als „damals gut“ bezeichnete, sei die Schwarze Pädagogik gewesen.

Die „Heimbewegung“ Ende der 1960er Jahre hat dazu geführt, dass sich in Europa bei vielen Trägerorganisationen die Vernunft durchgesetzt hat, Monsterheime einzustellen. „Das hat es gegeben. In Österreich hat das alles ein bisschen verzögert stattgefunden. Der Umstellungsprozess hat einen Moment gedauert“, meinte Hopmann mit ironischem Unterton. Die daraus entstandene Struktur von kleineren Institutionen habe dazu geführt, dass etwa Wien nur mehr Kapazitäten „für Extremfälle“ habe.

„Verdrängungsarbeit“ bei Erzieherinnen

Erzieherinnen, die sich heute hinstellen und sagen, sie hätten nicht gewusst, was die anderen Pädagoginnen damals machten, „lügen“, so Hopmann. „Das ist Verdrängungsarbeit.“ „Ich billige den Leuten zu, jetzt Pensionisten zu sein. Jemand, der behauptet, er hätte nichts gewusst, lügt.“

Hätten diese Kinder nämlich im System Partner gefunden, dann wäre das aufgeflogen, ist der Experte sicher. Die Erzieher hätten „ihrer verdammten pädagogischen Pflicht nachkommen müssen“. Es habe sehr wohl Beispiele in Europa gegeben, wo sich die Pädagogen auf die Seite der Kinder gestellt haben. „Jede Ausrede auf den Zeitgeist ist schlicht und einfach gelogen.“ Es wäre auch anders gegangen, meinte Hopmann.

Die Missbrauchsvorwürfe haben das Thema „Erziehung im Heim“ in den Vordergrund gebracht. Laut Jugendministerium wachsen 11.000 österreichische Kinder nicht bei ihren Familien auf. Sie wohnen in Heimen, betreuten Wohngemeinschaften oder auch bei Pflegefamilien. Und auch an der heutigen Struktur gibt es Kritik - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Link: