Kinder ruhig gestellt: Freispruch

Eine Mutter, ihr Ehemann und die 53 Jahre alte Großmutter sind am Donnerstag im Straflandesgericht vom Vorwurf der Vernachlässigung von vier Kindern freigesprochen worden. Sie sollen die Kinder oft stundenlang im Kinderwagen fixiert haben.

Dem Paar waren 2011 auf Veranlassung des Jugendamtes die Kinder abgenommen worden. Der Älteste - ein damals vier Jahre alter Bub - konnte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ohne fremde Hilfe stehen. Mit den jüngeren Geschwistern kommunizierte der Kleine über Kratzen, da er sich sprachlich nicht verständlich machen konnte.

Wie sich im Zuge der Erhebungen herausstellte, sollen die zwei Buben und zwei Mädchen oft stundenlang vor dem Fernseher ruhig gestellt und dabei sogar im Kinderwagen fixiert worden sein, was die Angeklagten in Abrede stellten.

Gutachterin sah „schwerste Entwicklungsstörungen“

Dabei hatte die Psychiaterin Gabriela Wörgötter zuvor in einem Gutachten festgestellt, dass bei den älteren drei Kindern „schwerste Entwicklungsstörungen“ vorliegen, die die Sachverständige ursächlich auf „frühkindliche Deprivation und mangelnde Förderung der unmittelbar Erziehungsberechtigten“ zurückführte.

Mutter wegen Vernachlässigung vor Gericht

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Mutter vor Gericht

Als die Psychiaterin im Auftrag des Gerichts den mittlerweile fünf Jahre und drei Monate alten Buben untersuchte, wies dieser ihren Ausführungen zufolge eine „globale Entwicklungsverzögerung auf allen Ebenen“ auf: Seine grobmotorischen Fähigkeiten entsprechen denen eines Dreijährigen, seine sprachlichen Fähigkeiten einem Zweijährigen, obwohl er seit der Entscheidung des Jugendamts in einem speziellen Programm mit Nachdruck gefördert wird.

Wenig, aber nicht wesentlich besser sieht es bei einem inzwischen vierjährigen Mädchen und ihrer zwei Jahre und sieben Monate alten Schwester aus. Lediglich der Jüngste - eineinhalb Jahre alt - sei altersadäquat entwickelt. „Bei den anderen würde jeder Laie erkennen, dass diese Kinder nicht altersentsprechend entwickelt sind“, sagte Wörgötter .

Mutter laut Gutachten „erziehungsunfähig“

Der Kindesmutter bescheinigte die Sachverständige wörtlich „absolute Erziehungsunfähigkeit“. Die 24-Jährige leide an einer „primären Mangelbegabung“ und habe bei der Untersuchung „einen infantilen Eindruck hinterlassen“. Sie sei „nicht in der Lage, kindliche Bedürfnisse zu erkennen“, so Wörgötter.

Anders stellte sich die Situation beim Ehemann und der Großmutter dar, die auf die Sachverständige nicht intellektuell minder befähigt wirkten. Der Mann habe „keine Erziehungsfunktion in der Familie übernommen“ und „nicht regulierend eingegriffen, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre“.

Die dominante Person, die vorrangig die Kinder unter sich hatte, war laut Psychiaterin die im selben Haushalt wohnhafte 53 Jahre alte Großmutter, wobei ihre Erziehungsmaßnahmen dem Gutachten zufolge „zweifelsfrei nicht am Kindeswohl orientiert waren“.

Freisprüche vorerst nicht rechtskräftig

Für Richter Daniel Rechenmacher reichte die Beweislage nicht für Schuldsprüche aus. Wie er in seiner Begründung darlegte, bestünde „kein Zweifel, dass die Kinder beträchtlich beeinträchtigt sind und die Ursache eindeutig im Umgang der Familie mit den Kindern liegt“.

Den drei Angeklagten könne aber nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass ihnen eine für eine Verurteilung erforderliche gröbliche Vernachlässigung bewusst war: „Es fehlt die subjektive Tatseite“. Im Übrigen sei das Strafgericht „der falsche Veranstaltungsort“, diese Sache gehöre primär vom Pflegschaftsgericht geklärt, meinte Rechenmacher.

Die Staatsanwältin, die in ihrem Schlussvortrag aus generalpräventiven Gründen tat- und schuldangemessene Strafen verlangt hatte, gab keine Erklärung ab. Die Freisprüche sind vorerst nicht rechtskräftig. Die älteren zwei Kinder sind derzeit in sozialen Einrichtungen untergebracht, die beiden anderen leben bei Pflegeeltern.