Kampusch-Bericht sieht keine Mittäter

Wolfgang Priklopil war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Einzeltäter. Zu diesem Ergebnis ist das Expertenteam unter Beteiligung internationaler Ermittler gekommen, das den Entführungsfall Natascha Kampusch noch einmal aufgerollt hatte.

„Die Evaluierung hat ergeben, dass Wolfgang Priklopil die Entführung mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine durchgeführt hat“, sagte der Präsident des deutschen Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, bei der Präsentation des Evaluierungsberichtes am Montag. Die Evaluierungskommission hat sich laut Jörg Ziercke, Chef des deutschen Bundeskriminalamts (BKA), „eindeutig für die Einzeltätertheorie ausgesprochen“ - mehr dazu in news.ORF.at.

Kampusch-Bericht präsentiert. Im Bild: (v.l.) Herbert Anderl (Ex-Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit), der deutsche BKA-Präsident Jörg Ziercke und Sektionschef Christian Pilnacek

APA/Helmut Fohringer

Im Bild: (v.l.) Herbert Anderl (Ex-Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit), der deutsche BKA-Präsident Jörg Ziercke und Sektionschef Christian Pilnacek

Zwar sei ein endgültiger Beweis nach wissenschaftlichen Kriterien nicht möglich, „weil Herr Priklopil nicht mehr am Leben ist“, sagte Ziercke. Aber: Verbindungen des Entführers zu Rotlicht-, Sado-Maso- oder Pädophilenszene „konnten trotz umfangreicher Ermittlungen nicht festgestellt werden“. Sehr wohl festgestellt wurden von der Kommission aber „Ermittlungspannen“ und „Fehleinschätzungen“ bei den Ermittlungen.

BKA-Chef: „Ermittlungsfehler in einzelnen Stadien“

Die Aussage einer jungen Zeugin, die Kampuschs Entführung beobachtet und von zwei Tätern berichtet hatte, bezeichnete Ziercke als „subjektiv glaubwürdig“, dennoch habe sich das Mädchen „objektiv geirrt“. Denn sie habe das Auto des Entführers mit einem anderen Wagen verwechselt, den sie wenig später an einer Kreuzung gesehen habe und in dem tatsächlich zwei Männer gesessen seien. Auch in Priklopils Auto und Haus seien keine Hinweise auf weitere Täter gefunden worden.

Festgestellt wurden laut Ziercke allerdings „Ermittlungsfehler in einzelnen Stadien“ der Untersuchung des Entführungsfalles sowie „Fehleinschätzungen“. Etwa die Tatsache, dass Hinweisen auf Priklopil aus der Anfangsphase der Entführung nicht nachgegangen wurde. Allerdings verwies Ziercke darauf, dass das Verlies, in dem Kampusch festgehalten wurde, wohl auch bei einer Hausdurchsuchung ohne konkreten Hinweis nicht hätte gefunden werden können.

Opfer nicht neuerlich befragt

Wie der frühere Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Herbert Anderl, bei der Präsentation des Berichtes sagte, hat die Evaluierungskommission 84 Befragungen und 18 Lokalaugenscheine durchgeführt. Nicht noch einmal befragt wurden allerdings Natascha Kampusch und der Freund des Entführers, Ernst H. Dies sei angesichts der ohnehin vorliegenden Protokolle nicht erforderlich gewesen, sagte Ziercke.

Auch die früheren Höchstgerichtspräsidenten Johann Rzeszut (OGH) und Ludwig Adamovich (Verfassungsgerichtshof), die mit ihrer Kritik an den Ermittlungen die Evaluierung ins Rollen gebracht hatten, wurden nicht neuerlich befragt. Das große öffentliche Interesse an dem Fall ist für Ziercke jedenfalls verständlich, schließlich sei das ein „Jahrhundertfall“, vergleichbar etwa mit den NSU-Morden in Deutschland.

Beteiligt waren an der Untersuchung laut Anderl sechs Vertreter des Innenministeriums, drei des Justizministeriums sowie vier ausländische Experten von BKA und US-amerikanischem FBI. Kernfrage war laut Christian Pilnacek, Strafrechts-Sektionschef im Justizministerium, ob Hinweise auf eine allfällige Mehrtäterschaft bei der Entführung vorliegen. Untersucht wurde aber etwa auch, ob es Hinweise darauf gibt, dass bei Priklopils Tod Fremdverschulden im Spiel war - auch das wurde laut Ziercke aber verneint.

Kommission bringt keine Anzeige ein

Ob nun Ruhe in den Fall kommen wird, bleibt abzuwarten. Die Kommission wird jedenfalls keine Anzeige einbringen, die ein neuerliches Verfahren zur Folge hätte. Lediglich ein Verdacht gegen den einst besten Freund von Priklopil, Ernst H., wurde den Behörden übermittelt: Dabei handelt es sich aber um einen möglichen Betrug rund um die Hinterlassenschaft von Priklopil, der mit der eigentlich Causa aber nichts zu tun hat - mehr dazu in Kampusch-Bericht: Erste Details bekannt.

Entführungsopfer Natascha Kampusch

EPA/MARCUS BRANDT

Der Entführungsfall Natascha Kampusch sorgte immer wieder für Gerüchte

Flucht gelang am 23. August 2006

Natascha Kampusch betonte stets, nie Mittäter gesehen zu haben. Auch Gerüchte, sie würde einen Pädophilenring decken, wies Kampusch in einem „Thema“-Interview entschieden zurück. Die damals zehnjährige Kampusch war am 2. März 1998 entführt und mehr als acht Jahre lang in einem Keller bei Priklopils Haus in Strasshof (Niederösterreich) gefangen gehalten worden. Erst am 23. August 2006 gelang der mittlerweile 18-Jährigen die Flucht, Priklopil beging daraufhin Selbstmord - mehr dazu in Fall Kampusch: Die Chronologie der Causa.

Obwohl die polizeilichen Ermittlungen zum Ergebnis kamen, dass der Entführer alleine gehandelt hatte, und auch Kampusch selbst dies bestätigte, waren anderslautende Verschwörungstheorien nie verstummt. Ein parlamentarischer Unterausschuss empfahl daher im Vorjahr eine neuerliche Evaluierung des Falles unter Beiziehung internationaler Ermittler.

Das neuerliche Aufrollen des Falles bedeutete allerdings von Anfang nicht, dass die offenen Fragen restlos geklärt werden können. Es war nicht ausgeschlossen, dass die Ermittlungen erneut zu dem Ergebnis kommen könnten, dass es zwar dubiose Personen und Widersprüche in der Causa gibt, aber dies für ein neuerliches Verfahren nicht ausreicht.

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