Paternoster vom Aussterben bedroht

Im Haus der Industrie könnte sich der älteste, elektrisch betriebene Paternoster der Welt befinden. Trotz der Beliebtheit der historischen Aufzüge werden immer mehr „Proletenbagger“ in Wien aus Sicherheitsgründen stillgelegt.

„Wir nehmen an, dass es sich um den ältesten Paternoster der Welt handelt, der noch in Betrieb ist“, so Hausverwalter Reinhold Eberhard. „Das wird derzeit geprüft. In den nächsten Jahren soll auch ein Buch über den Paternoster erscheinen.“ Fest steht, dass der Personenumlaufaufzug im Palais am Schwarzenbergplatz ab 1905 von der Firma Freissler gebaut und im Jahr 1911 durch Kaiser Franz Josef eröffnet wurde.

Seit über zehn Jahren kümmert sich Eberhard um die historische und charmante Fördereinrichtung, die von manchen auch „Proletenbagger“ genannt wird, und zeigt sie interessierten Gästen. Eine Touristenattraktion ist der Lift noch nicht, allerdings kommen viele Interessierte extra in das Haus, um den Paternoster zu fotografieren.

Paternoster im Haus der Industrie

ORF / Florian Kobler

IV-Hausverwalter Reinhold Eberhard in „seinem“ Paternoster

„Ringlspiel“ im Dauereinsatz

Besonders bei ausländischen Gästen, die zu Gast im Haus der Industrie sind, genießt der Paternoster große Aufmerksamkeit. „Einmal war eine chinesische Delegation da, die traute sich zuerst nicht einsteigen. Als sie dann doch mit dem Paternoster fuhr, wollte sie nicht mehr aussteigen“, so Eberhard. Zwischen 1945 und 1955 waren die Russen im Haus. „Die kannten den Paternoster angeblich nicht. Sie sind oft im Kreis gefahren. Für sie war es wie ein Ringlspiel“, so Eberhard.

Derzeit ist der Paternoster täglich von 7.00 bis 19.00 Uhr in Betrieb. „In der Nacht und bei Großveranstaltungen wird der Paternoster aus Sicherheitsgründen abgeschaltet", so Eberhard. Gebrechliche Menschen sowie Kinder ohne Begleitperson dürfen den Paternoster nicht benützen. Auch der Transport von Waren ist untersagt.

Paternoster im Haus der Industrie

ORF / Florian Kobler

Keine Tür, kein Stopp: Der Ausblick aus dem ratternden Paternoster

Paternoster

Der Paternoster („Vater Unser“) verdankt seinen Namen dem katholischen Rosenkranz (Zählkette für Gebete). Der weltweit erste Paternoster wurde 1876 in London (General Post Office) für den Transport von Paketen gebaut. Den ersten mit Dampfkraft betriebenen Paternoster für Personen gab es 1886 in Hamburg.

Kein Ende in Sicht

Obwohl es bisher keinen Unfall mit dem Paternoster gab, ist Eberhard mit Aufzugfirmen im Gespräch, um die Sicherheit der historischen Maschine zu erhöhen. Schon jetzt gibt es in jedem Stockwerk einen „Not-Stopp“-Knopf und Lichtschranken. Der Paternoster wird monatlich gewartet, alle fünf Jahre wird außerdem mittels Ultraschall eine Riss-und Bruchüberprüfung durchgeführt. Eberhard versucht, den Aufzug noch so lange wie möglich in Betrieb zu halten. „Noch wurde uns keine Frist gesetzt, wie lange wir den Paternoster betreiben dürfen.“

Spannung beim Ein- und Aussteigen

Die Kabinen des Paternosters haben keine Türen und bleiben in den Stockwerken nicht stehen. Sie werden daher auch nicht wie bei einem gewöhnlichen Aufzug gerufen, sondern die Benützer müssen versuchen, eine der Kabinen zu erwischen. Durch dieses System ist die Wartezeit aber auch die Zeit beim Ein- und Aussteigen sehr kurz.

Der Paternoster im Haus der Industrie hat 13 Kabinen, die je zwei Personen oder 160 Kilo transportieren können. Die Betriebsgeschwindigkeit liegt bei 0,2 Meter pro Sekunde. Eine „Runde“ mit dem Paternoster im Haus der Industrie dauert vier Minuten und 45 Sekunden. Bei den Wendepunkten im Keller sowie auf über 20 Meter Höhe werden die Kabinen über große Scheiben von einem Aufzugsschacht in den anderen gehoben. Die Kabinen behalten dabei ihre Ausrichtung. Eine Fahrt über das höchste Stockwerk hinaus ist ungefährlich.

Paternoster im Haus der Industrie

ORF / Florian Kobler

Ein Blick in den Maschinenraum und auf den Wendepunkt des Paternosters

Nur noch wenige Paternoster in Betrieb

Seit den 1960er-Jahren dürfen in Österreich keine Paternoster mehr gebaut werden. In Wien sind derzeit neben dem Paternoster im Haus der Industrie noch sieben weitere in Betrieb. Im Rathaus (Stiege 6), im Bundesrechenzentrum in Wien-Landstraße, im Bürogebäude der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau in Mariahilf und im ehemaligen Direktionsgebäude der Wienstrom GmbH in Alsergrund, bei der Wiener Städtische Versicherung im Ringturm sowie im Trattnerhof Büro in der Inneren Stadt.

Neue Lifte ersetzten Paternoster im NIG

Der Paternoster im Neuen Institutsgebäude (NIG) wurde 2007 stillgelegt. „Dies war kein Wunsch der Universität Wien, im Gegenteil. Der Umbau war aber unumgänglich, da die vorgeschriebene sicherheitstechnische Überprüfung negativ ausgefallen ist“, heißt es von der Universität Wien. Die BIG traf als Eigentümerin des Gebäudes diese Entscheidung und übergab den Paternoster an das Technische Museum (TMW).

Dort werden im Depot jedoch nur kleine Teile des Paternosters, nicht jedoch die Kabinen und der Motor, verwahrt. „Das sind Teile der Antriebskette, Förderkette und Kettenspanner“, so Peter Payer vom TMW. An der Stelle des Pasternoster im NIG wurden übrigens zwei neue Lifte eingebaut. Auch im Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend gab es einen Paternoster. Dieser wurde im Jahr 2010 - ebenfalls aus „sicherheitstechnischen Gründen“ - eingestellt.

Florian Kobler, wien.ORF.at

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