Taschendiebe: 72 Personen im Visier

Im Fall der möglicherweise unmündigen Taschendiebe ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien gegen 72 Personen. Justizminister Wolfgang Brandstetter will rasch Verbesserungen im Umgang mit jugendlichen Tatverdächtigen.

„Seit rund eineinhalb Jahren werden Ermittlungen gegen eine Tätergruppe von insgesamt 72 Personen geführt, wobei es sich teilweise um Jugendliche und teilweise um Erwachsene handelt“, sagte Nina Bussek, Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft. Aus Sicht der Anklagebehörde ist der Bub, der am vergangenen Freitag wegen gerichtlich vermuteter Unmündigkeit freigesprochen wurde, strafmündig. Der Bub war zuvor 16 Tage in Untersuchungshaft, nach dem Prozess war er kurz in der Sozialeinrichtung „Drehscheibe“ - mehr dazu in Minderjähriger Taschendieb abgängig.

Auch ein Mädchen, das sich noch in U-Haft befindet und am kommenden Freitag vor Gericht zu verantworten hat, ist laut Staatsanwaltschaft über 14 und damit strafmündig. Das Mädchen habe nicht nur bei der Polizei, sondern auch bei der Jugendgerichtshilfe, wo im Rahmen einer psychologischen Abklärung ihre geistige Reife untersucht wurde, ihr wahres Alter mit 16 angegeben, betonte Bussek.

Jugendamt bei Prozess dabei

Unmittelbar nach ihrer Festnahme am 22. Jänner hatte das Mädchen erklärt, 13 Jahre alt zu sein. Zu ihrer bevorstehenden Verhandlung wird diesmal auch das Jugendamt geladen, wie Gerichtssprecherin Christina Salzborn bekannt gab. Richterin Martina Frank, die die Verhandlung leiten wird, habe das für den neunten Bezirk zuständige Amt für Jugend und Familie per Fax geladen. „Das ist an sich vorgesehen und üblich“, sagte Salzborn.

Im Prozess gegen den Buben war kein MAG Elf-Vertreter zugegen gewesen: Dieser Richter hatte von einer Ladung Abstand genommen und den Verteidiger des Burschen mit der gesetzlichen Vertretung betraut - mehr dazu in Taschendieb: Jugendamt nicht informiert.

Amnesty International: Hintermänner suchen

Indessen trat Heinz Patzelt, Österreich-Generalsekretär von Amnesty International, für „alle legalen Ermittlungsmethoden“ ein, „um in dieser Sache die eigentlichen kriminellen Hintermänner dingfest zu machen und damit dieser besonders widerwärtigen Form von Kriminalität zulasten von Kindern und Jugendlichen einen wirksamen Riegel vorzuschieben“. In Bezug auf letztere habe die Justiz „alle Verfahrensregeln zu beachten, die für das Kindeswohl geboten und nützlich sind“.

Von der Staatsanwaltschaft verlangte Patzelt, „zum ehestmöglichen Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren“ den Kontakt mit den Jugendwohlfahrtsbehörden zu suchen, wenn Minderjährige unter Diebstahls-Verdacht geraten bzw. festgenommen werden. Die Gerichte hätten „allfällige Versäumnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft spätestens vor der Verhandlung auszugleichen und jedenfalls dem Jugendamt eine Teilnahme an der Verhandlung an der Seite des Jugendlichen zu ermöglichen“.

Man sei natürlich vorrangig bestrebt, an die Hintermänner heranzukommen, welche die oft noch minderjährigen Jugendlichen als Taschendiebe ausbilden, in Banden organisieren und losschicken, hieß es dazu bei der Staatsanwaltschaft. Es sei bisher allerdings nicht gelungen, diese auszuforschen, bedauerte Behördensprecherin Bussek. Die Kinder und Jugendlichen seien „nicht observierbar“ und offenbar darauf geschult, allfälligen Beobachtern und Verfolgern zu entkommen.

Justizminister für „Schulterschluss“

Justizminister Brandstetter hat zu dem Fall des mutmaßlichen Taschendiebes einen Bericht angefordert. Generell will er einen „Schulterschluss“ mit den für die Jugendwohlfahrt zuständigen Ländern forcieren. Brandstetter bekräftigte seine Position, dass tunlichst kein Jugendlicher in Untersuchungshaft sitzen sollte.

Man müsse sicherstellen, dass Jugendliche nicht durchs System „durchfallen“, meinte Brandstetter am Dienstag. Den konkreten Fall wolle er vorerst nicht beurteilen. Jedenfalls aber wolle er die enge Kooperation mit den Ländern in Sachen Jugendwohlfahrt forcieren, denn „wir wissen, dass hier etwas geschehen muss“. Chancen auf Verbesserungen sieht Brandstetter auch durch die bessere Einbindung der Jugendgerichtshilfe.

Zugleich müsse auch alles versucht werden, um das Problem an der Wurzel zu packen und der eigentlichen Täter - also die Organisationen, welche Jugendliche als Diebe ausschicken - habhaft zu werden. Denn „das Schlimme“ sei, dass „diese Jugendlichen selbstverständlich Opfer sind“, so der Justizminister.

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