Das Leben auf zwei Metern Parkbank

Wie Obdachlose den Winter vor einem Jahr im Stadtpark erlebten, hat Fotograf Lukas Ilgner in seiner Ausstellung „Shelter“ dokumentiert. Die Bilder zeigen die „Zeltstadt“ und ihre Bewohner vor der Räumung durch die Polizei.

„In den Medien war immer nur die Rede von den Obdachlosen im Stadtpark. Ich wollte diesen Menschen ein Gesicht geben“, so Ilgner. Der Wiener Berufsfotograf porträtierte im Dezember 2012 jene Obdachlosen, die im Stadtpark ihre Notschlafstellen aufschlugen. Damit dokumentierte er die Situation im Stadtpark, bevor die „Zeltstadt“ im Oktober 2013 von der Polizei geräumt wurde - mehr dazu in Caritas-Kritik an Einsatz gegen Obdachlose (wien.ORF.at, 18.10.2013).

Die Fotos zeigen Schlafstellen, die mit Plastikplanen, Styropor und Decken errichtet wurden. „Zusammengehalten von Schnüren und dem Überlebenswillen ihrer Bewohner reihen sie sich, an eine Wagenburg erinnernd, dicht aneinander. Die Bilder dieser Notgemeinschaft führen mir den Luxus meiner eigenen Lebensrealität vor“, so Ilgner.

Fotos von der „Shelter“-Ausstellung:

Menschen hinter den Fotos

Ilgner bot den Obdachlosen ein Honorar an, um sie porträtieren zu dürfen. Die Bilder sind eine Mischung aus Dokumentation und Porträtkunst. Dem Fotografen war es wichtig, die abgebildeten Personen in ihrer „Souveränität und Würde“ darzustellen. Er versuchte, weder ihre Gesten und Blickrichtungen zu beeinflussen noch Veränderungen an der vorgefundenen Szenerie und Bekleidung vorzunehmen.

Während seiner Arbeit lernte Ilgner die Stadtpark-Bewohner näher kennen. „Sie zeigten mir Fotos aus der Zeit, in der sie sich selbst noch sicher im Leben stehend sahen, Fotos ihrer Kinder, ihrer Partnerinnen, zerknittert, verblichen und abgekost, seit vielen Jahren ganz nah am Körper aufbewahrter Besitz“, so Ilgner. Einer der Obdachlosen, der in seiner Vergangenheit einmal Schachmeister in seiner Heimat war, zeigte Ilgner stolz ein Reiseschach aus Plastik. Ilgner: „Seine Rente betrug 220 Euro im Monat. Selbst in Tschechien war das zu wenig zum Leben.“

Obdachlose im Stadtpark

Lukas Ilgner

Ausnutzen der Ärmsten?

Ilgners Zusammenarbeit mit den Obdachlosen wurde nicht von allen Spaziergängern im Stadtpark positiv aufgenommen. „Mir wurde vorgeworfen, die Situation dieser armen Menschen auszunutzen“, so Ilgner. „Eine besser gekleidete Frau wollte von mir wissen, warum ich diesen Personen überhaupt Aufmerksamkeit schenke.“

Aber es gab auch Personen, die sich aufgrund seiner Dokumentation erstmals mit den Obdachlosen beschäftigten. „Ein Jogger, von dem ich annehme, dass er hier öfter unterwegs ist, wurde sehr emotional und war völlig außer sich über die Situation der Bewohner. Am Ende des Gesprächs lief er zum Würstelstand und kaufte allen eine Portion Würstchen.“

„Soziale Säuberung“ im Stadtpark

„Unter welchen Bedingungen wird sichtbare, öffentliche Obdachlosigkeit akzeptiert? Welche Gründe führen im Stadtpark zu einer Räumung, während unter einem Simmeringer Autobahnzubringer vermutlich ein ganzes Leben im Freien verbracht werden kann?“ Fragen wie diese stellt sich der Fotograf, wenn er auf seine Arbeit zurückblickt. Ilgner: „Der Stadtpark war mit seiner Nähe zum ersten Bezirk und seiner touristischen Bedeutung ein gutes Beispiel für eine schlussendlich unausweichliche Räumung bzw. soziale ‚Säuberung‘.“

Ausstellungshinweis

„Shelter“ von Lukas Ilgner, Eröffnung am 19. Februar, bis 31. März 2014, Artbits Galerie

Die Ausstellung „Shelter“ zeigt 14 Großformatfotos in der Artbits Galerie. Auf erklärende Begleittexte wird verzichtet. „Ich wollte nicht, dass die Namen der Obdachlosen dabeistehen. Es waren Menschen aus Wien und Osteuropa dabei“, so Ilgner. Dass auch Obdachlose die Ausstellung besuchen werden, bezweifelt Ilgner. „Nach der Räumung sind sie in alle Winde zerstreut worden und unauffindbar.“

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