Der Kampf der Wiener Wagengruppen
Seit sieben Jahren gibt es in Wien legale und illegale Wagenplätze. Dort leben etwa Studierende, Künstler, Handwerker und Kinder in umgebauten Lkw, Campingbussen, Bau- und Zirkuswägen in alternativen Lebensgemeinschaften. Sie tun dies nicht aus Geldnot, sondern um in größtmöglicher Freiheit und Selbstverwaltung leben zu können.
Die Filmemacher Birgit Bergmann, Stefanie Franz und Oliver Werani dokumentierten die Entwicklung der Wiener Wagengruppen mit ihren Filmen „Treibstoff“ (2012) und „Dreck ist Freiheit“ (2013). Gezeigt werden die schwierige Suche nach einem idealen Standort, der damit verbundene Kampf mit Grundstückbesitzern, Polizei und Stadt Wien sowie das nicht immer harmonische Leben der Bewohner auf den Wagenplätzen.
Franz Bergmann Werani
Leben in der Natur
„Wagenplätze können sehr unterschiedliche Konzepte verfolgen. Während auf dem einen Platz das Leben im Grünen mit Gärten und Hühnern im Vordergrund steht, wird auf einem anderen Platz lieber an Autos und Motorrädern geschraubt“, so Filmemacher Oliver Werani.
Veranstaltungshinweis:
Donnerstag, 24. April 2014, Topkino: 18.00 Uhr „Treibstoff“, 20.00 Uhr „Dreck ist Freiheit“, anschließend Podiumsdiskussion
Während in Deutschland Wagenplätze bereits auf eine über 30-jährige Geschichte zurückblicken, fassten in Wien erst im Jahr 2006 junge Menschen den Beschluss, statt in Wohnungen künftig in Wägen leben zu wollen. Dafür mieteten sie eine Fläche neben einer Gärtnerei in Wien-Simmering. Schnell wuchs die Gruppe auf rund 30 Personen an.
Da es sich jedoch um eine landwirtschaftliche Fläche handelte und dauerhaft abgestellte Wägen als Bauwerk gelten, mussten sie Alternativen finden und weiterziehen. Die Stadt bot ihnen an, sich im Naherholungsgebiet Lobau neben dem Dampfkraftwerk eine als Bauland gewidmete Wiese zu mieten. Einige nahmen dieses Angebot in Anspruch und gründeten den ersten legalen Wiener Wagenplatz „AKW Lobau“. Derzeit leben dort zwölf Personen.
Franz Bergmann Werani
Wanderschaft durch Wien
Andere wiederum wollten nicht an den Stadtrand geschoben werden und suchten unter dem Namen Wagengruppe “Treibstoff“ ein zentrales Gelände. Ein halbes Jahr lang konnte die Gruppe einen ehemaligen Tennisplatz neben dem Wurstelprater für ihre experimentelle Lebensform auf Rädern zwischennutzen, im März 2010 mussten sie einem geplanten Bürogebäude weichen.
Vor zwei Jahren mieteten sie ein Grundstück der Wiener Linien in Floridsdorf. Als im Vorjahr der Vertrag auslief, standen sie erneut auf der Straße. Den Winter verbrachten sie nahe der Hermine-Jursa-Gasse in Wien-Landstraße. Doch auch von dort musste die Gruppe im Februar 2014 wieder wegziehen. Werani: „Jetzt stehen sie in der Litfaßstraße unter der Autobahnbrücke. Dort dürfen sie bis Ende April stehen bleiben.“
Franz Bergmann Werani
Wohnwägen neben Baucontainern
Seit Juni 2012 gibt es auch das Wagenburg-Kunstkollektiv „Gänseblümchen“, das sich auf dem Gelände der zukünftigen Seestadt Aspern in Donaustadt ansiedeln möchte. Über Monate hinweg belagerten sie als Dauerkundgebung den Parkstreifen in der Johann-Kutschera-Gasse. Werani: „Wie es mit der Gruppe in Zukunft weitergeht, steht derzeit offen.“
Filmemacher als Wagenplatzbewohner
Die Filmemacher wurden im Zuge der Dreharbeiten selbst mit dem „Wagenplatzvirus“ angesteckt. Stefanie Franz lebte für kurze Zeit am Wagenplatz „AKW Lobau“, Oliver Werani lebt noch immer dort, genießt die Natur, baut Gemüse an und hält sich Hühner. Er selbst sprayte auf seinen Wagen den Slogan "Dreck ist Freiheit. „Denn wenn Geiz geil sein kann, dann kann Dreck auch Freiheit sein“, so Werani. „Außerdem wachsen Kinder gerne im Dreck auf.“
Diskussion über alternative Wohnformen
Die Dokumentation „Dreck ist Freiheit“ gewann im Vorjahr beim Festival „This Human World“ den Publikumspreis. Seit April 2014 läuft der Film in ausgewählten Kinos in Österreich. Am 24. April zeigt das Topkino Wien die Filme „Treibstoff“ und „Dreck ist Freiheit“ hintereinander.
Im Anschluss findet eine Podiumsdiskussion zur Situation der Wagenplätze und zu alternativen Wohnformen statt. Mit dabei sind die Regisseurinnen und Regisseure, Wagenplatz-Bewohnerinnen und -Bewohner sowie der Autor Robert Foltin und Mara Verlic, die Leiterin der Studie „Perspektive Leerstand“ von der TU Wien.
Links:
- Topkino
- Dreck ist Freiheit (Facebook)
- Dreck ist Freiheit (YouTube-Trailer)
- Wagenplatz „AKW Lobau“
- Wagengruppe Gänseblümchen
- Wagengruppe Treibstoff