Graffiti zwischen Kunst und Kriminalität

Ab Mittwoch steht der Sprayer „Puber“ vor Gericht. Er hinterließ seinen Schriftzug in Wien unzählige Male. Im Vorfeld rückt die Frage ins Zentrum, wann Graffiti Kunst und wann Kriminalität ist: ein Gespräch mit Wiens erfolgreichstem Sprayer Nychos.

Der Graffiti-Schriftzug „Puber“ begann ab Mai vergangenen Jahres in intensiver Weise das Wiener Stadtbild zu prägen. Im Szenejargon heißt dieses Anbringen von Schriftzügen in der Öffentlichkeit Taggen. „Getaggt wird meist mit der Absicht, dass so viele Leute wie möglich diesen Namen kennen“, erklärt der in Wien lebende Graffiti-Maler, Künstler und Illustrator Nychos im Gespräch mit der APA.

Ein 30-Jähriger Schweizer könnte dafür bis zu fünf Jahre Haft wegen schwerer Sachbeschädigung ausfassen, sollte er ab Mittwoch vor Gericht als Verursacher von zumindest einiger dieser „Puber“-Tags verurteilt werden. Ähnlich ist es vor 30 Jahren seinem Landsmann Harald Naegeli in der Schweiz ergangen, der mit seinen Strichfiguren als „Sprayer von Zürich“ bekannt wurde. Neun Monate Haft musste Naegeli absitzen - samt hoher Geldstrafe - inzwischen ist er ein international anerkannter Künstler.

Speto

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Der Brasilianer „speto“ bei der Arbeit

Künstler oder Sprayer oder beides?

„Wir leben schon länger in einem System, wo das Sprayen auf der einen Seite Kunst, und auf der anderen Vandalismus ist“, so Nychos, der selbst seit rund 15 Jahren Graffiti produziert und mit seinen Stil international bekannt ist. „Graffiti gibt es schon länger als Kunst. Es gibt sie seit tausenden Jahren, denn sie entstanden aus unserer Kultur und Mentalität - aus dem Willen, sich zu verewigen.“

Auch wenn man inzwischen ebenso von Streetart spricht, eine institutionalisierte Kunstform per se stellen Graffiti schon aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte nicht dar. „Street Art - dieses Wort ist erst entstanden, als man sagte, dass gewisse Graffiti sozusagen keine mehr sind.“

Puber-Tag über Roa-Street Art

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Puber übermalte ein Bild von Roa

Die meisten inzwischen erfolgreichen „Street Artists“ hätten dieses Wort am Anfang gar nicht gekannt. „Sie sind zwar Künstler, sehen sich aber noch immer als Graffitimaler“, sagte Nychos. Die Graffitiszene sei das Gegenteil von statisch: „Es ist eine Szene, die polarisiert und viele Leute anzieht, die meisten nur kurzfristig.“ Die Motivation für das Sprayen sei dabei so unterschiedlich, wie die Menschen selbst.

„Am falschen Ort ist es Vandalismus“

Schön sein müssen die Graffiti nicht unbedingt: „Der ästhetische Anspruch ist kein Muss. Man spürt es ja auch als Betrachter, ob es sich um ein reines territoriales Markieren handelt“ - wobei der 31-jährige Steirer einen gewissen Respekt für alle Arten von Graffiti empfindet, bei seinen eigenen Arbeiten aber sehr wohl einen Kunstanspruch hat.

„Ich will coole Kunst machen, ich bin Künstler, Illustrator genau wie ich Graffitimaler bin. Und sehe für mich keinen Unterschied, ob ich ein Bild auf der Leinwand oder einer Hauswand herstelle. Ich kann das großartigste, kunstaffine Streetart-Objekt produzieren - am falschen Ort angebracht, gilt es trotzdem wieder als Vandalismus“, definiert er das Spannungsfeld.

Hausmauer mit Graffitis übersäht

Foto Weinwurm

Eine Fassade in der Burggasse

1.000 Tatverdächtige in Österreich

Wenn der wohl bekannteste Street-Artist, der Brite Banksy, in der Öffentlichkeit tätig wird, stellt sich diese Frage des Vandalismus nicht. Wenn Graffiti hingegen zum Straftatbestand werden, trifft es meist jüngere Sprayer. So wurden etwa 2012 in Österreich 998 Tatverdächtige ermittelt, 778 davon waren zwischen zehn und 21 Jahre alt, wie aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) aus dem Vorjahr hervorging.

Das Taggen, „also ein Kürzel - meist ein Name, den man sich selbst gibt - irgendwo hinzuschreiben“ fand in Österreich übrigens schon zu Zeiten der Monarchie historische Erwähnung. „Es gibt mit Joseph Kyselak ein berühmtes Beispiel aus dieser Zeit", so Nychos.“ Der Hofkammerbeamte ritzte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Familiennamen bzw. die Botschaft „Kyselak war hier!“ in Säulen und Felswände ein. Manche prophezeien auch „Puber“ eine „Leinwandkarriere“. Einen Namen hat er sich gemacht, nicht zuletzt durch die Festnahme und den Prozess - mehr dazu in „Puber“: „Leinwandkarriere“ möglich.

Graffiti: Kunst oder Vandalismus?

Schwere Sachbeschädigung in 232 Fällen - so lautet die Anklage gegen den 30-jährigen Schweizer Renato S. Er soll der Mann hinter dem Graffiti-Phantom Puber sein. Im März wurde der mutmaßliche Urheber der in Wien fast allgegenwärtigen Puber-Schriftzüge verhaftet, heute begann der Prozess gegen ihn. Puber polarisiert. Nicht nur die Wiener Bevölkerung, sondern auch die Graffiti-Szene, die zwischen Gegenkultur und Kommerzialisierung pendelt - mehr dazu in Graffiti: Kunst oder Vandalismus? (oe1.ORF.at).

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