Wahlrecht in „großen Stücken“ fertig

„Viele große Stücke“ sind laut SPÖ bei der Reform des Wiener Wahlrechts abgeschlossen, nicht aber, wie sich Stimmenanteile auf Mandate auswirken werden. Die Oppositionsparteien sehen einen „Umfaller“ der Grünen.

„Dieser Schlussstein muss noch gelegt werden“, meinte Rudolf Schicker, Klubobmann der Wiener SPÖ, zum Kernstück der angestrebten Novelle - der Frage, wie sich die Stimmenanteile der Fraktionen künftig auf die Mandatsverteilung im Gemeinderat auswirken werden. Sowohl Schicker als auch Georg Prack, Landessprecher der Grünen, betonten gegenüber der APA, über den künftigen Mandatsverteilungsschlüssel noch verhandelt wird.

Grüne: „Abbau des Verzerrers“

Durch das jetzige Wahlrecht kann die stimmenstärkste Partei - also die SPÖ - unter gewissen Umständen die absolute Mandatsmehrheit und damit die Möglichkeit einer Alleinregierung auch dann erlangen, wenn sie deutlich unter 50 Prozent der Wählerstimmen erreicht. Die Grünen wollen diese mehrheitsfördernde Komponente möglichst wegverhandeln. Laut Prack spieße es sich nach wie vor am „Abbau des Verzerrers“. Hier müsse man noch einen Kompromiss finden, die Gespräche würden erst mit Herbstbeginn wieder aufgenommen.

Gegenüber dem Ö1-Morgenjournal hatte Rudolf Schicker das Verhandlungsziel definiert: „Wir wollen sehr nahe an dem bleiben, was Bestand hat in Wien, nämlich ein Wahlrecht, das eine gewisse mehrheitsfördernde Komponente hat, weil das Regieren schlicht leichter ist, wenn goße Parteien zusammenarbeiten oder alleine regieren können“. Für David Ellensohn, den Chefverhandler der Grünen, war laut Ö1 nach zähen, vierjährigen Verhandlungen klar: „Exakt das Wahlrecht, das sich die Grünen wünschen, wird es nicht geben. Und ganz sicher wird es das Wahlrecht so wie es jetzt existiert und der SPÖ stark hilft, auch nicht mehr geben.“

Schicker und Ellensohn gingen gegenüber Ö1 von einem Landtagsbeschluss im Herbst aus. „Mir wäre am liebsten, wir würden es bei der ersten Landtagssitzung im Herbst über die Bühne bringen“, sagte Schicker. „Die Wiener Wahlrechtsordnung wird im Landtag heuer auf der Tagesordnung stehen, das ist unvermeidbar“, meinte Ellensohn. Damit würde das neue Wahlrecht bereits für die kommende Wiener Wahl im nächsten Jahr gelten. Umfragen zufolge liegt die Wiener SPÖ derzeit übrigens bei maximal 40 Prozent.

Juraczka: Historische Chance vertan

Die Oppositionsparteien übten scharfe Kritik. „Sollte wirklich endlich eine koalitionäre Gesetzesvorlage kommen, so bleibt abzuwarten, wie weit die Grünen umgefallen sind und wie viel von der ursprünglichen Grünen-Willenserklärung übrig geblieben ist“, so Dietbert Kowarik, Verfassungssprecher der FPÖ Wien. „Jede Stimme soll gleich viel wert sein. 50 Prozent der Stimmen sollen 50 Prozent der Mandate bedeuten, nicht mehr und nicht weniger“, meinte Hans Jörg Jenewein, Landesgeschäftsführer der FPÖ Wien, gegenüber „Radio Wien“.

Kritik an der Einigung zum Wahlrecht kam auch von Manfred Juraczka, Obmann der Wiener ÖVP. Er warf den Grünen vor, „nicht nur den mit ÖVP und FPÖ beschlossenen Notariatsakt, sondern damit auch ein zentrales Wahlversprechen“ gebrochen zu haben. Die Einigung ist für Jurazcka „kein Kompromiss sondern ein Kniefall der Grünen vor der SPÖ“. „Wenn schon knapp 47 Prozent der Stimmen für die absolute Macht in Wien reichen sollen, dann gibt das definitiv nicht den Wählerwillen wieder. Hier wurde eine historische Chance für Wien vertan“, meinte Juraczka.

De damalige Wiener Rathausopposition - bestehend aus FPÖ, ÖVP und Grünen - hatte sich mit einem Notariatsakt am 4. Mai 2010 verpflichtet, eine Reform des sehr mehrheitsfreundlichen Wiener Wahlrechts zu betreiben. So sollten etwa 50 Prozent der Stimmen 50 von den 100 Gemeinderats-Mandaten bringen, lautete der Plan. Nach der Gemeinderatswahl 2010 sind die Grünen in der Stadtregierung, den Beschluss hatten sie sich mit der SPÖ für dieses Jahr vorgenommen - mehr dazu in Neues Wiener Wahlrecht soll 2014 fixiert werden (wien.ORF.at; 20.12.2013).

Filzmaier: NEOS gefährden absolute Mehrheit

Der Politikwissenschafter Peter Filzmaier meinte gegenüber Ö1, dass mit der Einigung „das Ausmaß der Mehrheitsförderung bei der Gemeinderatwahl verringert“ wurde: „Wenn bisher 44 bis 45 Prozent für eine absolute Mandatsmehrheit reichten, dann werden es eben jetzt 46 bis 47 Prozent sein. Das ist aber immer noch geringer als in allen anderen Bundesländern. Der bisher niedrigste Stimmenwert, der für eine absolute Mandatsmehrheit gereicht hat, waren 47,3 Prozent in Tirol.“

Für Filzmaier steht die SPÖ aber „jenseits aller Wahlrechtsreformen“ vor einem anderen „wahlstrategischen Problem“: „Es sind nicht unbedingt viele kleine Parteien mit etwa drei Prozent der Stimmen zu erwarten, die es dann nicht in den Landtag schaffen. Es ist eine neue Partei zu erwarten, die NEOS, bei der ein Stimmenanteil von plus-minus zehn Prozent diskutiert wird. Das kostet der SPÖ als stimmenstärkster Partei dann massiv Mandate und macht rein rechnerisch die absolute Mehrheit ohnehin unwahrscheinlicher.“

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