Starphysiker Walter Thirring verstorben

Er lernte bei Erwin Schrödinger, diskutierte mit Albert Einstein und bewies, dass Materie stabil ist: Der Wiener Starphysiker Walter Thirring ist im Alter von 87 Jahren verstorben. Heimische Politiker bekundeten ihre Trauer.

Thirring hätte Musik zunächst viel mehr interessiert als Einsteins Relativitätstheorie oder die Quantenmechanik, Dinge die er seinem Vater und dem „begabteren Bruder“ überlassen wollte. Doch der drei Jahre ältere Bruder Harald fiel im Zweiten Weltkrieg. Er ahnte seinen nahen Tod und bat die Eltern in einem Abschiedsbrief, den Walter Thirring in seiner Autobiografie „Lust am Forschen“ veröffentlichte, „nicht allzu traurig“ zu sein: „Ihr habt ja noch den Walter, und er vereint ja in sich ebenso große Begabung mit großem Schöpferwillen.“

Walter Thirring bat daraufhin den Vater um ein Lehrbuch der Physik und ackerte 600 Seiten theoretische Physik in einem drei Monate langen Krankenurlaub nach einer Blinddarmoperation durch. Noch keine 16 Jahre alt, musste Thirring dem Dritten Reich als Flakhelfer dienen. Doch er benutzte seine Mathematikkenntnisse, um die Winkelkoordinaten so umzurechnen, „dass die Granate etwa 50 Meter hinter dem Flugzeug explodierte“.

Physiker Walter Thirring

APA/ Helmut Fohringer

Akademische Karriere ohne Matura

Die Schule konnte er wegen des Kriegs nicht abschließen. Nach dem Kriegsende, das Thirring in einem Tiroler Lazarett erlebte, überzeugte er den Dekan der Uni Innsbruck von seinen Physikkenntnissen und durfte ohne Maturazeugnis inskribieren. Das Studium hat er in der minimalen Zeit von drei Jahren abgeschlossen, und mittels Sondererlass erlangte er die Doktorwürde auch ohne Hochschulreife. Verspätet bekam er 2009 von seinem Gymnasium, der Neulandschule in Wien-Grinzing, ein Maturazeugnis „honoris causa“.

Nach der Promotion ging Thirring ins Ausland, wo er mit den bedeutendsten Physikern seiner Zeit zusammenarbeitete: Er lernte die Feinheiten der mathematischen Physik bei Erwin Schrödinger am Dublin Institute for Advanced Studies und dem etwas weniger bekannten Bruno Touschek in Glasgow kennen. Er arbeitete bei Werner Heisenberg am Max-Planck-Institut in Göttingen und bei Wolfgang Pauli an der ETH-Zürich. Thirring heiratete und nahm eine Stelle an der Universität Bern an.

Es folgte eine Einladung an das Institute of Advanced Studies in Princeton (USA), wo Thirring Einstein traf, der mit der Quantenfeldtheorie allerdings nicht viel anfangen konnte, an der sich „die Jungen“ begeisterten. Weitere Stationen in Thirrings „Lehr-und Wanderjahren“, wie er sie selbst bezeichnet, waren das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und eine Gastprofessur an der University of Washington in Seattle.

Physiker Walter Thirring

APA/ Helmut Fohringer

Beweis, dass Materie stabil ist

„Eine Mischung aus Patriotismus und Widerspruchsgeist“ zog Thirring 1959 nach Wien zurück, erklärte er der APA. Zwar hätten ihm „viele große Leute gesagt, das soll ich nicht machen, weil der Geist, der in Österreich herrscht, ist nicht wissenschaftsfreundlich“, aber er trotzte allen Widrigkeiten und finanziellen Engpässen und war sich nicht zu schade, „eine Vorlesung über die gesamte theoretische Physik“ zu halten und Kleinigkeiten wie das Toilettenpapier des Instituts als „special expenses“ der US Air Force zu verrechnen.

In Wien gelang Thirring gemeinsam mit dem US-Physiker Elliott Lieb 1975 sein wohl bekanntester mathematischer Beweis: Mittels der „Lieb-Thirring-Ungleichungen“ konnten sie zeigen, dass Materie stabil ist und Elektronen und Atomkerne nicht aufgrund der anziehenden elektrischen Kräfte in sich zusammenfallen.

Thirring komponierte und spielte Orgel

Thirring leitete von 1968 bis 1971 die Abteilung für theoretische Physik am CERN (Europäische Organisation für Kernforschung), nach seiner Rückkehr in Wien 1993 war er maßgeblich an der Gründung des Internationalen Erwin-Schrödinger-Instituts für Mathematische Physik (ESI) beteiligt.

Thirring komponierte und spielte Orgel. Er konnte seine wahre Liebe nicht verbergen, wenn er in der Autobiografie schrieb: „Jedenfalls beweist die Musik, dass es Dinge gibt, die nicht allein durch die physikalischen Gegebenheiten erklärbar sind.“

Trauer um Physiker

Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) bezeichnete Thirring als „Physiker von internationalem Format“. Sowohl als Direktor des CERN als auch beim Aufbau des Erwin-Schrödinger-Instituts in Wien habe er „wertvolle Pionierarbeit auf dem Feld der Physik geleistet“ und zu deren Stärkung und Sichtbarkeit beigetragen.

Auch ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle hob Thirrings Leistungen hervor. Er sei ein exzellenter Forscher gewesen und habe dazu beigetragen, „dass sich die Physik zu einem Stärkefeld in Österreich entwickelt hat“. Indem es ihm gelungen sei, die komplexe Thematik verständlich aufzubereiten, habe Thirring auch einen breiteren Leserkreis erreicht.

Wissenschaftsstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) bezeichnete Thirring als „Physiker der Weltelite und Volksbildner aus Berufung“. Thirring habe den Wiener Geist der Wissenschaft in die Welt getragen und sei eng mit der Stadt verbunden gewesen, etwa als Mitbegründer zahlreicher wissenschaftlicher Institute.

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