Zierhofer-Kin will Festwochen neu positionieren

Tomas Zierhofer-Kin wird Mitte 2016 von Markus Hinterhäuser die Intendanz der Wiener Festwochen übernehmen. „Wir denken darüber nach, das doch eher bürgerliche Festival neu zu positionieren“, sagt der 46-Jährige im Gespräch mit der APA.

2015 und 2016 wird Zierhofer-Kin noch zwei Ausgaben des niederösterreichischen Donaufestivals verantworten, dem er seit 2005 eine starke Avantgarde-Signatur aufgedrückt hat. „Natürlich möchte ich das Publikum von dort am liebsten zu den Festwochen mitnehmen, ohne das bisherige Festwochen-Publikum zu verlieren, das ich als sehr neugierig erlebt habe. Ich möchte also den Spagat probieren.“

Tomas Zierhofer-Kin

APA/HELMUT FOHRINGER

Zierhofer-Kin folgt 2016 auf Markus Hinterhäuser, der nach Salzburg zurückkehrt

„Jegliche tradierte Form hemmt Entwicklung“

Dass es Zeit ist, etwas Neues zu wagen und auf geänderte Voraussetzungen in Gesellschaft und Kunst zu reagieren, dabei glaubt der designierte Festwochen-Leiter auch Rückendeckung durch den Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) und den Festwochen-Aufsichtsratspräsident Rudolf Scholten zu haben.

Die Krux wird also sein: Wie neu darf das Neue wirklich werden? Und welches Alte bleibt auf der Strecke? „Jegliche tradierte Form hemmt die Entwicklung der Kunst“, sagt Zierhofer-Kin. „Im gesamten institutionellen Theater- und Opernbereich stört mich, dass man nichts Neues wagt. Wir haben ein System von Kunstproduktion und Kunstförderung, das von einer Idee des Kunstbegriffs des 19. Jahrhunderts ausgeht.“

„Aufbruchstimmung in die Wiener Szene bringen“

Der künftige Festwochen-Intendant lässt im Gespräch mit der APA revolutionäre Töne hören: „Ich finde es sehr spannend, in einen großen Dampfer hineinzugehen und dort etwas anderes zu machen. Man muss aufhören, diesen bürgerlichen Kunstbegriff hochzuhalten, denn er ist kunstfremd. Er geht letzten Endes davon aus, Kunst sei etwas zum Verstehen. Es darf nichts Heftiges erlebt werden, es muss alles schön gediegen sein“.

Zierhofer-Kin weiter: „Wir arbeiten bereits intensiv mit ganz vielen Künstlern daran, wie kann man ohne Dampfer mit ganz vielen flinken, kleinen Kanus in der Stadt herumflitzen und dort Dinge machen, die zünden. Es geht um das virale Ausbreiten der Festwochen mit Produktionen, die in der ganzen Stadt stattfinden, auf den Straßen und in den U-Bahnen, in ganz anders konnotierten Räumen.“

Zierhofer-Kin geht es um eine radikale Öffnung, um Interaktion mit Künstlern und Gesellschaft. „Mit viel Geld teure Produktionen zu machen, das kann jeder. Meine Aufgabe ist es, aus der Idee einer Institution ein zeitgemäßes Modell zu machen, das offen ist und in Dialog tritt. Wir müssen reinhören und Feedbacks aufnehmen. Künstlerinnen und Künstler, die hier arbeiten und leben müssen die Festwochen auch als ihre Plattform begreifen. Natürlich werde ich in diesen fünf Jahren, die mein Vertrag läuft, nicht einmal annähernd alle, die mich interessieren, zu den Festwochen einladen können. Mir geht’s aber auch darum, eine Aufbruchstimmung in die Wiener Szene zu bringen.“

Etliche neue Partner bei Koproduktionen

Bei den internationalen Koproduktionen, die es natürlich weiterhin geben soll, werde es etliche neue Partner geben, sagt der künftige Intendant. Über eine Residenz von US-Künstlern, die mit der Wiener Szene in Kontakt kommen wollen, wird mit dem Performa Festival ebenso bereits nachgedacht wie über eine Zusammenarbeit mit dem American Realness Festival in New York City. „Die arbeiten nahezu ohne Budget und haben großartige Ideen.“

Wie bereits angekündigt, will Zierhofer-Kin auf Spartenleitungen verzichten. „Mir war mir die Idee lieb, einen runden Tisch an Menschen zu haben, die alle unterschiedlichen Background und unterschiedliche Netzwerke haben. In einer gemeinsamen Strickstunde werden wir mit unterschiedlichen Wollfäden ein schönes gemeinsames Teil stricken. Wenn es dabei den positiven Nebeneffekt hat, dass es keine Zerwürfnisse mehr gibt zwischen Intendanz und Spartendirektoren, soll es mir recht sein. Aber für mich geht es viel stärker darum, mit relevanten künstlerischen Positionen eine zu Welt zeigen, wie sie wirklich ist.“ Zudem sollen außergewöhnliche Denker und Denkerinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen das Festival zu begleiten.

Festwochen „dürfen auch weh tun“

Zierhofer-Kin: „Kunst hat heute die Aufgabe, in einem vollkommen falschen Leben, das wir als real erachten, mit drastischen Mitteln das Wirkliche zu zeigen. In der heutigen Endzeitstimmung wollen wir sagen: Es ist eigentlich fünf nach Zwölf, aber noch haben wir die Kraft zu träumen. Schlingensief hat das in das bürgerliche Theater hineingetragen und gesagt: Ok, wir ziehen die Schraube an, es muss wieder spürbar sein. Die Festwochen unter meiner Leitung dürfen exzessive lustvolle Erfahrungen bieten, sie dürfen aber auch wehtun. Wir leben ja in dieser komischen Scheinwelt in permanentem Schmerz, nur merken wir ihn nicht. Wir grenzen aus, wir führen uns auf, wir vernichten einen Teil von uns, machen in der Natur alles kaputt, merken es aber nicht, weil alles wunderbar geschönt wird.“

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