Jeder fünfte Wirt ignoriert Allergenverordnung

Seit drei Monaten gilt die Kennzeichnungspflicht für Allergene in der Gastronomie. Laut der Wiener Lebensmittelaufsicht wird sie von der Mehrheit der Wirte bereits umgesetzt. Rund ein Fünftel der bisher kontrollierten ignoriert sie jedoch.

350 Gastronomiebetriebe habe das Wiener Marktamt seit Inkrafttreten der Verordnung Mitte Dezember kontrolliert, so Andreas Müller, Leiter der Lebensmittelaufsicht im Marktamt. Rund 60 Prozent dieser Betriebe hätten die neue Verordnung bereits umgesetzt, etwa 20 Prozent seien auf einem guten Weg, aber weitere rund 20 Prozent hätten noch gar nichts umgesetzt, schätzte Müller im Gespräch mit Radio Wien.

Allergenverordnung

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Kennzeichnung von 14 Allergenen

Seit 13. Dezember 2014 müssen 14 Allergene in den Speisekarten ausgewiesen werden: glutenhaltiges Getreide, Krebstiere, Eier, Fisch, Erdnüsse, Sojabohnen, Milch, Schalenfrüchte (diverse Nüsse), Sellerie, Senf, Sesamsamen, Schwefeldioxid und Sulfite, Lupinen und Weichtiere. Alternativ kann das Personal mündlich informieren. Grund für die Kennzeichnungspflicht ist eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2011.

Bei den säumigen Wirten handle es sich um Betriebe aus allen Bereichen, so Müller - also vom Restaurant bis zum Würstelstand. Besonders schwierig sei die Umsetzung der Verordnung jedoch anscheinend für Betriebe, bei denen man Essen per Telefon und Folder bestellen kann.

Geldstrafen ab April

Zunächst würden die betroffenen Wirte von der Lebensmittelaufsicht schriftlich aufgefordert, die Verordnung umzusetzen, erklärte Müller. Mit dem Gesundheitsministerium sei vereinbart, noch bis Ende März keine Anzeigen zu erstatten, sondern zu beraten und zu unterstützen. Danach werde es jedoch auch Anzeigen geben: „Wie kommt jemand, der die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, dazu, dass er gleich behandelt wird wie jemand, der die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllt?“, so Müller im Radio-Wien-Interview.

Als Folge einer Anzeige wird eine Geldstrafe verhängt, deren Höhe die magistratischen Bezirksämter festlegen. Diese Strafen werden seiner Erfahrung nach beim ersten Mal im „dreistelligen Eurobereich“ liegen, so Müller.

Patientenverein kritisiert unwissendes Personal

Nicht zufrieden mit der Umsetzung der Verordnung in den ersten drei Monaten ist der Wiener Verein FruLak & Co für Menschen mit Nahrungsmittelallergien und Unverträglichkeiten. Dessen Präsidentin, Angelika Widhalm, kritisierte, dass die meisten Wirte nur mündlich statt schriftlich informieren würden. „Wenn man das Personal fragt, erlebt man aber seine Wunder. Bis hin zu Antworten wie: ‚Wenn Sie das wissen wollen, sind Sie bei mir im falschen Lokal‘, oder ‚Da müssen Sie sich eine Woche vorher anmelden, dann ist die Dame vielleicht da, die sich auskennt‘“, so Widhalm zu Radio Wien.

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Allergiker sehen die Umsetzung der Verordnung mit gemischten Gefühlen

Rund 300 Lokale habe der Verein österreichweit getestet, bei etwa der Hälfte habe es Probleme gegeben, sagte Widhalm. Die Wirtschaftskammer habe erst viel zu spät Schulungen organisiert, ärgerte sie sich. Bereits 2011 hätte man damit beginnen können - denn mit dem Beschluss der Verordnung auf EU-Ebene damals sei klar gewesen, dass diese auch in Österreich kommen wird. Jetzt seien die Kurse überfüllt und die Gastronomen überfordert. Widhalm plädierte für eine schriftliche Allergeninformation und eine raschere Schulung des Personals - derzeit haben die Betriebe dafür noch bis Dezember 2015 Zeit.

Wirtschaftskammer sieht „schwarze Schafe“

„Es wird schwarze Schafe geben, das will ich gar nicht bestreiten“, meinte Berndt Querfeld, Obmann der Kaffeehäuser in der Wiener Wirtschaftskammer, zu den Vorwürfen. Die meisten Betriebe seien jedoch auf einem guten Weg. „Und bis Jahresende - und ein Jahr kann man der Gastronomie bei so einer Neuerung, glaube ich, auch geben - wird das ins tägliche Fleisch und Blut übergegangen sein und die Konsumenten das bekommen, was sie zu Recht erwarten.“

Die Schulungen habe man sogar sehr rasch umgesetzt, wies Querfeld diese Kritik zurück. Der Erlass der Verordnung sei in Österreich nämlich erst zwei Monate vor Inkrafttreten veröffentlicht worden. Kein Argument findet Patientenvertreterin Widhalm: Der Inhalt der Schulungen sei durch die EU-Verordnung auch schon davor klar gewesen.

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Wirtschaftskammer Österreich/Fachverband Gastronomie

Derzeit wählen die meisten Wiener Betriebe die mündliche Auskunft

In einem Punkt sind sich die beiden allerdings einig: Auch Querfeld sprach sich für eine schriftliche Information aus - diese sei für die Gäste die „bessere Dienstleistung“. Langfristig werde sich das auch durchsetzen, derzeit würden aber in Wien zwei Drittel der Wirte, so schätzt er, noch auf eine mündliche Information setzen, weil diese „vermeintlich einfacher“ sei und man etwa keine neuen Speisekarten drucken müsse.

Webguide für allergikerfreundliche Lokale

„Sehr positiv“ beurteilte die Umsetzung der Verordnung in den ersten drei Monaten hingegen die in Wien ansässige Arbeitsgemeinschaft für Zöliakiebetroffene. Immer mehr Gastronomiebetriebe seien bereit, sich positiv mit Allergien auseinanderzusetzen, so Vorständin Hertha Deutsch. „Früher mussten wir in Lokalen mühsam erklären, was Gluten überhaupt ist. Es wurde mit Glutamat verwechselt, und man hat uns der Rezepturspionage bezichtigt“, so Deutsch. Das sei jetzt ausgeräumt. Blind auf die neue Kennzeichnung verlassen würde sie sich allerdings noch nicht in jedem Lokal: „Dafür ist es noch zu früh.“

Einen Webguide mit Lokalen, die die Verordnung besonders gewissenhaft umsetzen und auch sonst allergikerfreundlich sind, etwa durch spezielle Rezepte, erarbeitet derzeit der Verein FruLak & Co. Online gehen soll dieser Guide innerhalb des nächsten halben Jahres, so Widhalm.

Heftige Proteste im Vorfeld

Die Allergenverordnung trat in Österreich am 13. Dezember 2014 in Kraft, Hintergrund ist eine EU-Verordnung. Im Vorfeld hatte es heftige Diskussionen gegeben. Die Gastronomie zeigte sich über die neue Vorschrift wenig erfreut - mehr dazu in Allergene: „Betriebe setzen auf Fertigprodukte“, Allergene: EU-Verordnung fordert Wirte und Wirte kritisieren Info-Pflicht für Allergiker. Kritik am Wirteprotest kam von Patientenorganisationen, und auch Konsumentenschützer begrüßten die Verordnung - mehr dazu in Allergene: Kritik an Wirteprotest.

Evelyn Kanya, wien.ORF.at

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