„Historic Site“ Institut für Radiumforschung
Das Europäische Kernforschungszentrum CERN bei Genf und das Niels Bohr-Institut in Kopenhagen sind zwei jener Einrichtungen, die bereits als historische Stätten der Physik gewürdigt wurden. Nun zählt auch das 1910 eröffnete Institut in Wien-Alsergrund dazu, das die weltweit erste Einrichtung war, die sich explizit der Erforschung der Radioaktivität widmete.
1896 fand der französische Physiker Antoine Henri Becquerel heraus, dass Uransalz fotografische Platten schwärzt
Das Stefan Meyer-Institut (SMI) für subatomare Physik ist die Nachfolgeeinrichtung des Instituts für Radiumforschung, dessen Name noch heute in großen Lettern an dem Haus in der Boltzmanngasse prangt. Radiumforschung war in den Jahren nach Entdeckung der Radioaktivität eines der spannendsten Forschungsgebiete der Physik. Die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien gründete 1901 eine Kommission für die Untersuchung radioaktiver Substanzen.
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Leichter Zugang zu uranhaltiger Pechblende
Ausgangsmaterial war Pechblende, ein uranhältiges Erz, zu dem man in Österreich leichten Zugang hatte: Die Abbaustätte lag auf dem Gebiet der k.k. Monarchie, in St. Joachimsthal (heute Jachymov) in Böhmen. Schon die Pioniere der Radioaktivitätsforschung in Paris, Becquerel sowie Marie und Pierre Curie (Nobelpreis 1903), hatten für ihre Untersuchungen Pechblende aus St. Joachimsthal verwendet.
Dass das noch junge Forschungsgebiet in Wien ausgebaut werden konnte, war mehreren günstigen Umständen zu verdanken: Der leichte Zugang zu Pechblende vertiefte den wissenschaftlichen Kontakt zu den Curies in Paris und zum Physiker Ernest Rutherford in Manchester. Dazu kam der Mäzen Karl Kupelwieser, der den Bau eines eigenen Institutsgebäudes für die Radiumforschung finanzierte. Es war das allererste Forschungsinstitut der Akademie.
Wissenschaftler von Weltruhm
Entscheidend für den Erfolg war, dass hochbegabte Physiker in Wien arbeiteten. Der zum Leiter bestellte Stefan Meyer arbeitete auch in der internationalen Radium-Standard-Kommission unter Ernest Rutherford mit. Meyers Assistent Viktor Franz Hess entdeckte 1912 die Kosmische Strahlung und erhielt 1936 dafür den Nobelpreis. Auch der ungarische Chemiker George de Hevesy war Mitarbeiter der ersten Stunde. Er begann in Wien seine Arbeiten zum Nachweis bestimmter Elemente durch Beimischung radioaktiver Isotope. Diese „Tracermethode“ brachte ihm 1943 den Chemie-Nobelpreis.
Die Physikerin Marietta Blau arbeitete an der Entwicklung fotografischer Messmethoden in der Kernphysik. Auf der Suche nach geeigneten radioaktiven Quellen gelang ihr der Nachweis, dass kosmische Strahlung die Spaltung von Atomkernen initiieren kann.
Bis 1938 anerkannte Größe der Atomforschung
Vor 1938 war das Institut für Radiumforschung eine anerkannte Größe in der internationalen Atomforschung. Doch die Nationalsozialisten vertrieben viele prominente Physiker, darunter Meyer und Blau. Es gelangen zwar auch während des Zweiten Weltkrieges noch wichtige Entdeckungen, etwa jene des Elements 85 („Astat“) in der Natur durch die Physikerin Berta Karlik, doch die Glanzzeit des Instituts war vorbei.
Nach dem Krieg verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt hin zur Kernforschung. Nach zweimaliger Umbenennung erhielt das Institut 2004 in Erinnerung an seinen ersten Leiter den Namen Stefan Meyer-Institut für subatomare Physik. Dieses feiert am 29. Mai sein zehnjähriges Bestehen mit einem Symposium. Einen Tag davor, am 28. Mai, wird die Auszeichnung der European Physical Society als historische Stätte in einer Zeremonie verliehen.
Zahlreiche weitere Einreichungen aus ganz Europa befinden sich derzeit im Genehmigungsprozess. Laut Eberhard Widmann, Direktor des Stefan Meyer-Instituts, ist mit der vom österreichischen Physik-Nobelpreisträger Victor Franz Hess (1883-1964) gegründeten Forschungsstation am Hafelekar (Tirol) eine weitere in Österreich.