„Nachbarinnen“ helfen bei der Integration

Hilfe zur Selbsthilfe: Wo der Integrationsbericht 2015 Mängel aufzeigt, setzt das Projekt „Nachbarinnen“ an. Mithilfe von Frauen, die die selbe Sprache sprechen, sollen Migrantinnen und Flüchtlinge aus der Isolation geholt werden.

Hodan und Abdi wohnen mit ihren vier Kindern in einer Zweizimmerwohnung in der Flüchtlingssiedlung „Macondo“ vom Österreichischen Integrationsfonds, in Simmering. Seit ungefähr zweieinhalb Jahren wohnt die somalische Familie hier. Bis vor wenigen Monaten ist Hodan, die Mutter, nur wenig aus dem Haus gegangen und noch nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Wien gefahren. Dann kam Deeqa Haibe in ihr Leben. Haibe ist eine Mitarbeiterin des Projekts „Nachbarinnen“ und besucht die Familie jede Woche.

Nachbarinnen-Projekt, Familie aus Somalia

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Hodan, Haibe und Abdi

Acht Monate später hat sich viel getan: Hodan fährt alleine problemlos mit U-Bahnen und Schnellbahnen und kommt viel aus der Wohnung. Sie hat außerdem einen Deutschkurs gemacht und beginnt nun die Sprache zu verstehen. Auch die Kinder haben sich weiterentwickelt. Die zwei Söhne, die zuvor bereits Klassen wiederholen mussten, haben Deutschkurse absolviert und können nun ihren Hauptschulabschluss machen.

„Aus der Isolation holen“

„Viele migrantische Familien haben wenig Zugang zu Informationen und Angeboten ihrer Stadt und auch wenig Zugang zu Bildung. Aus dem Wunsch die Situation dieser Familien in unserem Land zu verbessern ist die Idee der ‚Nachbarinnen‘ entstanden“, sagt Christine Scholten, eine der beiden Gründerinnen des Projekts. Ziel dabei ist es, die Chancen von Migrantinnen und Flüchtlingen zu verbessern, die das Leben hier nicht kennen und sich deswegen isolieren.

„Wir wollen sie aus dieser Isolation herausholen und sie in die Gesellschaft einbinden, was gut gelingt“, so Scholten. Das Projekt knüpft dabei genau dort an, wo der Integrationsbericht 2015 Mängel aufzeigt - mehr dazu in oe1.ORF.at. „Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Empowerment (der Ermächtigung, Anm.) von Frauen und der Schulbildung der Kinder. Das kann nur von Frau zu Frau gehen, und zwar von Frauen, die die gleiche Sprache sprechen und ein tiefes Verständnis für den traditionellen Hintergrund haben."

Geben und Nehmen steht im Zentrum

Die „Nachbarinnen“ sind also Frauen mit türkischer, arabischer, somalischer und tschetschenischer Muttersprache. Sie agieren als Begleiterinnen, bieten Unterstützung und schaffen Verbindungen zu integrationsfördernden Maßnahmen. Die „Nachbarinnen“ beginnen in ihrer Muttersprache, den Kontakt aufzubauen und bringen die Frauen, Kinder und Männer zu den Institutionen, die sie brauchen. Das Ganze ist dann wie ein Regelsystem aufgebaut: In vielen Belangen wird Unterstützung angeboten, wenn die Familie Schritte in Richtung besserer Integration geht.

Macondo

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Wohnungen in Macondo

„Wenn wir das Gefühl haben, dass sich die Betroffenen nicht engagieren, arbeiten wir dann solange daran bis ein ‚Geben und Nehmen‘ möglich wird“, so Scholten. Haibe ist eben eine dieser „Nachbarinnen“. Sie kommt aus Somalia und lebt seit sieben Jahren in Wien. Momentan betreut sie sieben Familien. Ihre Motivation sind ihre eigenen Erfahrungen, die sie in ihrer Anfangszeit in Wien selbst gemacht hat. „Ich weiß daher, wie sich die Familien fühlen und wo man ansetzen muss“, so Haibe.

Erfolge bei Schulbildung und Frauen-Empowerment

Im Durchschnitt sind die Kinder bisher um einen Grad pro Fach besser in der Schule geworden, elf Kinder wurden vor einem Abstieg in die Sonderschule bewahrt und zehn Frauen wurden in einer Nähwerkstatt angestellt, wo sie zu Näherinnen ausgebildet werden. "Es ist vor allem ein Weg der Hilfe zur Selbsthilfe. Die Frauen sollen lernen, sich alleine zurechtzufinden und wissen, dass ihre Kinder, eine Ausbildung brauchen“, so Scholten.

Nach acht Monaten gemeinsamer Arbeit entlässt auch Haibe ihre Lieblingsfamilie rund um Hodna und Abdi. „Sie haben große Fortschritte gemacht. Das macht mich selbst auch sehr glücklich. Wenn sie noch Hilfe bei Behördenwegen oder einem Krankenhausbesuch zum Beispiel brauchen, bin ich trotzdem noch jederzeit für sie da“, sagt Haibe.

Nachdem Scholten und Renate Schnee das Projekt ehrenamtlich betreiben, das lediglich von Spenden, Geldern der Sponsoren und Förderungen des Sozialministeriums lebt, wollen sie versuchen, das Projekt klein zu halten. Dennoch erfolgte jüngst eine Ausweitung: Die „Nachbarinnen“ gibt es seit diesem Jahr auch in Linz.

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