Carl E. Schorske gestorben

Der US-Kulturhistoriker Carl E. Schorske ist im Alter von 100 Jahren gestorben. Das berichtet die Tageszeitung „Die Presse“ (Dienstag-Ausgabe). Berühmt wurde Schorske durch sein Werk „Wien - Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle“.

Carl Schorske wurde am 15. März 1915 in New York geboren. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Werks „Fin-de-Siècle Vienna“, das ihm 1981 den Pulitzerpreis einbrachte und ihn schließlich berühmt machte, war er bereits 65 Jahre alt und emeritierte im gleichen Jahr an der Princeton University.

Der international anerkannte Historiker, der 1950 an der Harvard University promoviert wurde, war Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen. Er beschäftigte sich u.a. mit dem Zustand im Nachkriegsdeutschland ("Eastern and Western Orientation in German Foreign Policy, 1947) ebenso wie mit Gustav Mahler („Eine österreichische Identität: Gustav Mahler“, 1996).

Carl E. Schorske

APA/Herbert Neubauer

Carl E. Schorske wurde 2012 Ehrenbürger der Stadt Wien

Hauptwerk in zehn Sprachen übersetzt

Es war aber vor allem das „Pionierwerk“ des Wiens um 1900, das immer wieder Aufsehen erregte. Sein in zehn Sprachen übersetztes Hauptwerk „Wien - Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle“ brachte nicht nur ihm selbst weltweite Anerkennung, sondern rückte auch Wien in den Mittelpunkt kulturhistorischen Interesses.

„Sein Werk zum Fin de Siecle in Wien ist ein Standardwerk für jeden, der sich für die Wiener und österreichische Kultur, das intellektuelle Leben und das Verhältnis zur Gesellschaft und Politik rund um 1900 interessiert“, erklärte der Historiker Gary Cohen, der einst bei Schorske an der Princeton University dissertierte und bis vor kurzem das „Center for Austrian Studies“ an der University of Minnesota geleitet hat, anlässlich des 100. Geburtstags Schorskes im vergangenen März.

Das Buch sei immer noch der Ausgangspunkt für viele Studenten, die sich dem Feld widmen. Schorske habe durch seine „einfühlsamen, eleganten Schriften“ auch die weiterführende Arbeit zahlreicher Historiker und Kulturwissenschafter inspiriert.

Häupl: Brachte „uns unsere Geschichte nahe“

Als „einen der größten lebenden Kulturhistoriker“ bezeichnete ihn die Österreichische Forschungsgemeinschaft im Jahr 2004 anlässlich der Verleihung des von ihr vergebenen „Wittgenstein-Preises“. Als er bei seinem letzten öffentlichen Auftritt in Österreich im Jahr 2012 zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt wurde, nannte ihn Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) den Mann, „der uns unsere eigene Geschichte nahe gebracht hat“.

Seine Bedeutung in den USA hielt Schorske selbst für gering, wie er anlässlich seines 90. Geburtstags zur APA sagte: „Ich spiele in Amerika eine sehr marginale Rolle.“ Kollege Cohen sieht darin allerdings eher einen Beweis dafür, welch geringes Ansehen wichtige Humanwissenschafter in der amerikanischen Öffentlichkeit generell genießen.

„Wahrhaft transdisziplinärer“ Wissenschafter

Für den Wiener Historiker Gerald Stourzh hat Schorske herkömmliche historische Methoden hinter sich gelassen und „wahrhaft transdisziplinär aus historischen, literarischen, aus Architektur- und Bildquellen, aus der Musik, aus psychoanalytischen Materialien ein Ganzes geformt“. Schorske lehrte zunächst an der Wesleyan University, ab 1960 an der University of California in Berkeley und von 1969 bis zu seiner Emeritierung 1980 an der Princeton University, wo er sechs Jahre lang dem „Programme in European Cultural Studies“ vorstand.

In Forschung und Lehre hat Schorske wiederholt auf die bildenden Künste zurückgegriffen; er stand vielen Museen in Europa und den USA beratend zur Seite und begleitete mit bedeutenden wissenschaftlichen Beiträgen die großen „Traum und Wirklichkeit“-Ausstellungen über das Wiener Fin de Siècle in Wien, Paris und New York. Auch für die Freud-Ausstellung der Library of Congress, die auch in der Österreichischen Nationalbibliothek gezeigt wurde, war er wissenschaftlicher Konsulent.

Träger zahlreicher Auszeichnungen

Der Kulturhistoriker wurde neben dem Pulitzerpreis mit zahlreichen weiteren Auszeichnungen geehrt. Er war Träger zahlreicher Ehrendoktorate, Mitglied mehrerer Akademien und zudem Ehrenvorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Internationalen Zentrums Kulturwissenschaften (IFK) in Wien, das die deutsche Übersetzung seines Werkes „Thinking with History. Explorations in the Passage to Modernism“ (1998) betreute (Wien 2004).

Im Jahr 2012 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt, kurz nach seinem 100. Geburtstag überreicht ihm Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) in New Jersey Ende März das Große Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich.

Trauer um Carl E. Schorske

„Ihm (Schorske, Anm.) haben wir es zu verdanken, dass die Wiener Moderne in der Kulturgeschichte im selben Atemzug genannt wird mit dem Athen Perikles’, dem Venedig Tizians, dem Florenz Botticellis, dem Paris der Impressionisten und dem New York Andy Warhols“, sagte Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ).

„Mit Carl E. Schorske verliert die internationale Kulturszene einen ihrer prägendsten Theoretiker und Österreich jenen Wissenschaftler, der die weltweite Auseinandersetzung mit ‚Wien 1900‘ in Gang gesetzt hat“, zeigt sich Christoph Thun-Hohenstein, Direktor des MAK, tief betroffen.

„Carl E. Schorske war mehr als nur ein brillanter Historiker, der eine eigene Schule der Historiographie geschaffen hat. Ihm ist es letztlich zu verdanken, dass die Weltöffentlichkeit sich für Wien als Laboratorium der Moderne zu interessieren begann“, sagte Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ).

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