Justizanstalt vergisst auf Verhandlung

Ein 57-Jähriger hat sich am Montag wegen versuchten Mordes vor Gericht verantworten müssen. Er soll seine Frau mit einem Messer attackiert haben. Die Justizanstalt hatte auf die Verhandlung vergessen.

Die Verhandlung hatte mit 35-minütiger Verspätung begonnen. In der Justizanstalt Wien-Josefstadt, wo der Angeklagte in U-Haft sitzt, war die Verhandlung vergessen worden, wie Richter Georg Olschak erfuhr, als er sich telefonisch nach dessen Verbleib erkundigte.

Immer wieder „Männergeschichten“ unterstellt

Passiert ist die Straftat am 16. April 2015 in einer Wohnung in Wien-Leopoldstadt. Der Angeklagte soll seit Längerem rasend eifersüchtig gewesen sein und seiner um mehr als 20 Jahre jüngeren Frau immer wieder „Männergeschichten“ unterstellt haben.

Er kontrollierte seine Freundin an ihrem Arbeitsplatz, rief ständig an, überwachte ihr Mobiltelefon, überprüfte ihm unbekannte Nummern, stöberte in ihrem Kalender und durchwühlte sogar ihre Unterwäsche auf verdächtige Spuren. Als die 35 Jahre alte Frau im Sommer 2014 Trennungswünsche äußerte, wurde ihr Lebensgefährte erstmals handgreiflich, soll Drohungen ausgestoßen und die Frau derart gequält haben, dass es in der Wohnung zu zwei Polizeieinsätzen kam.

Bub rettete Mutter: Mann wegen Mordversuchs vor Geschworenen

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Angeklagter vor Gericht

Dabei dürfte der Mann selbst eingesehen haben, dass seine Eifersucht ein Problem war. Im November 2014 suchte er freiwillig eine Ambulanz auf, um sich behandeln zu lassen, weil er - wie er dort eingestand - den Zwang verspüre, seine Frau zu kontrollieren.

Bub ergriff Küchenmesser

Doch am 16. April eskaliert die Situation erneut, weil der Mann Tage zuvor eine für ihn verdächtige Eintragung im Kalender der Frau gefunden hatte. Er machte ihr Vorwürfe und versetzte ihr plötzlich einen Faustschlag gegen den Kopf. Laut Anklage ging der Sohn dazwischen und packte den Vater am Hals, worauf beide zu Sturz kamen. Die Frau lief in die Küche, der Mann folgte ihr und soll ihr dann mit einem Küchenmesser dreimal in den Kopf gestochen haben, wobei die 13 Zentimeter lange Klinge brach und teilweise im Schädelknochen stecken blieb.

Als der Elfjährige sah, wie sich der Vater über die Mutter beugte und weiter zustechen wollte, griff er nach einem Messer und stach dem 57-Jährigen in den Rücken. Danach flüchtete er aus der Wohnung und rettete sich in eine Nachbarwohnung. Dort kam auch die 35-Jährige unter, der es ebenfalls gelang, vom Tatort wegzukommen.

Haus

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Der Tatort in der Rustenschacherallee

Verteidiger kritisiert „schlampige Polizeiarbeit“

Der 57-Jährige bekannte sich „nicht schuldig“. Sein Verteidiger Rudolf Mayer kritisierte die Polizei, die in diesem Fall „schlampig“ ermittelt habe. Es sei davon auszugehen, dass die 35-Jährige auf den Mann eingestochen habe, was in der Anklageschrift allerdings mit keinem Wort erwähnt wird.

Wie der Verteidiger ausführte, soll sich die Tatortgruppe des Landeskriminalamts geweigert haben, „wegen so einer G’schicht’ auszurücken“, so Mayer unter Verweis auf den Akteninhalt. Die am Tatort anwesenden und mit der Spurenaufnahme betrauten Beamten hätten dann zwar zwei Messer sichergestellt, ein drittes, am Boden liegendes aber nicht weiter beachtet. Ein Beamter habe das einfach zurückgelegt.

„Ich habe geglaubt, sie versöhnt sich“

Sein Mandant hatte nach seiner Festnahme zunächst erklärt, sich - was den Tatablauf betrifft - an nichts mehr erinnern zu können. In seiner Einvernahme schilderte er nun jedoch, er habe der 35-Jährigen einen Faustschlag versetzt, weil diese den Kalender mit der verdächtigen Eintragung ihm aus der Hand und an sich reißen wollte. Plötzlich habe sie ein Messer in der Hand gehabt und ihn gestochen, „weil ich sie geschlagen habe“. Daraufhin habe er mit einem anderen Messer zwei oder drei Mal zugestochen: „Ich hatte Angst, dass sie weiter zusticht.“

Auf die Frage, warum er das bisher nicht erzählt habe, erwiderte der Angeklagte: „Ich habe geglaubt, sie versöhnt sich. Ich wollte sie nicht belasten.“ Grundsätzlich merkte er noch an, die Frau habe ihn „ausgenutzt“ und als „Sprungbrett“ gebraucht: „Wie sie mit der Schule (gemeint: die Ausbildung zur diplomierten Krankenschwester, Anm.) fertig war, da hat sie mich nicht mehr gebraucht.“

Ermittlungen auch gegen Frau

Die 35-jährige Frau betonte in ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme, sie habe „zu keinem Zeitpunkt ein Messer in der Hand gehabt“. Wie die Krankenschwester schilderte, hatte sie jahrelang unter der Eifersucht ihres Lebensgefährten und damit verbundener Verdächtigungen gelitten: „Er hat fieberhaft nach einer Affäre gesucht. Jeder Mann in meinem Umfeld war verdächtig.“ Als der 57-Jährige im Internet bei einer Weihnachtsfeier entstandene Fotos entdeckte, welche die Frau mit männlichen Tischnachbarn zeigten, sei die Situation untragbar geworden.

Aufgrund der Verletzungen, die der Angeklagte erlitten hatte, war von der Staatsanwaltschaft ursprünglich auch gegen die Frau ermittelt worden. Das Verfahren wurde eingestellt, weil die Anklagebehörde nicht davon ausging, dass die 35-Jährige dem Mann zwei Wunden im Brust- und Schulterbereich zugefügt hatte, die dieser neben zwei Stichen in den Rücken erlitten hatte.

Für letztere war laut Anklage der elfjährige Sohn des Paares verantwortlich, der seiner Mutter zu Hilfe kommen wollte. Der Gerichtsmediziner Christian Reiter hielt es - wie er bei seiner Gutachtenerstattung zu Protokoll gab - für „nicht unrealistisch“, dass der Bub für alle vier Stiche verantwortlich zeichnete. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Schüler zugebilligt, in Notwehr gehandelt zu haben - gegen ihn wurde daher nicht weiter ermittelt.

Elfjähriger muss nicht vor Gericht aussagen

Die Angaben des Elfjährigen wurden den Geschworenen in Form einer DVD zur Kenntnis gebracht, die nach einer kurzen Pause abgespielt wurde. Der Bub war im Vorfeld kontradiktorisch vernommen und dabei gefilmt worden, was ihm eine weitere Aussage ersparte. Der Schüler bezeichnete seinen Vater dabei als „schlimmen Papa“, der ihm Geld gegeben habe, wenn er diesem auf die Nerven ging. Abgesehen davon sei der Vater „einfach krank, weil er eifersüchtig ist“. Ständig habe er die Mutter „nach einem anderen Mann gefragt“. Zu einem Messer gegriffen und auf den Vater eingestochen habe er aus einem einzigen Grund: „Ich wollte nur, dass er aufhört.“

Einige Tage nach der Tat kehrte der Bub wieder zu seiner Mutter zurück. Das Jugendamt veranlasste eine Therapie für den Elfjährigen - mehr dazu in Stiche gegen Vater: Therapie hat begonnen und in Elfjähriger stach auf Vater ein. Die Verhandlung wurde zur Ladung von zwei krankheitsbedingt nicht erschienen Zeugen auf 4. November vertagt.