Tag der Selbsthilfe im Rathaus

Demenz, Krebs, Schlafstörung: 260 Selbsthilfegruppen zu 150 Themen gibt es in Wien. Am Sonntag war Tag der Selbsthilfe und im Wiener Rathaus gab es die Möglichkeit für jedermann, sich über das Angebot zu informieren.

Seit 30 Jahren holt Simon Ujvary sich Halt bei einer Selbsthilfegruppe. Der 82-Jährige erkankte an Darmkrebs. Als Folge musste ihm ein Stück des Darms entfernt werden, er bekam einen künstlichen Ausgang. Der gemeinsame Erfahrungsaustausch in einer Selbsthilfegruppe half ihm, vor allem die Scham zu nehmen: „Ein Darmausgang ist heute noch ein Tabuthema und war es zu derzeit überhaupt. Man hat nicht gewusst, wie man überhaupt damit leben kann“, so Ujvary.

Rund 15.000 leben in Österreich mit einem künstlichen Darmgausgang, einem sogenannten Stoma. Am Anfang fühlte sich Ujvary mit dem Thema alleingelassen. Irgendwann verstummten auch die Gespräche in der Familie. Die Gespräche in der Selbsthilfegruppe empfand er dagegen „wie eine Therapie“.

Selbsthilfegruppe

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„Drüber reden hilft“

Rund 260 Gruppen mit 150 Themen

1985 wurde in Wien das Medizinische Selbsthilfezentrum „Martha Frühwirt“ in der Leopoldstadt gegründet. Die ersten Gruppen widmeten sich Themen wie Brustkrebs oder eben künstlichem Darmausgang. Heute gibt es bereits 260 Gruppen, die sich 150 unterschiedlichen Themen verschrieben haben. Andreas Keclik von der Wiener Gesundheitsförderung nennt zwei Bereiche, in denen deutliche Zuwächse an Interessenten zu verzeichnen sind: seltene Erkrankungen und psychische Erkrankungen. Zu bemerken sei einfach das Bedürfnis der Menschen, nach Gleichgesinnten zu suchen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen.

„Nöte und Ängste von der Seele reden“

Selbsthilfegruppen sind aber nicht nur für Erkrankte da, es gibt auch welche für Angehörige, wie zum Beispiel den Verein HPE - HIlfe für Angehörige psychisch Erkrankter. Man weiß, dass durch den Ausbruch einer psychischen Erkrankung eines Familienmitglieds Angehörige oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen.

Vereinsvorsitzende Irene Burdich schildert: „Da konnte ich mir mal meinen ganzen Schmerz und meine Nöte und meine Ängste von der Seele reden.“ Denn viele Angehörige glauben etwa, dass sie kein Recht mehr hätten, fröhlich und glücklich zu sein, wenn ein erkranktes Familienmitglied traurig ist. Die Selbsthilfegruppe holte Burdich aus ihrer Traurigkeit und ihren Schuldgefühlen heraus.

Hilfe für rund 40.000 Menschen

Insgesamt finden in den Wiener Selbsthilfegruppen rund 40.000 Menschen Hilfe und Unterstützung. In der Regel kommen die Mitglieder der einzelnen Gruppen einmal im Monat unter dem Motto „Drüber reden hilft“ zusammen. Seit 30 Jahren werden dutzende Einrichtungen auch von der Stadt Wien unterstützt. Im Medizinischen Selbsthilfezentrum „Martha Frühwirt“ etwa sind heute mehr als 20 medizinische Selbsthilfegruppen untergebracht: Die Bandbreite reicht dabei von Alzheimer über Kopfschmerz, Fettsucht bis zu Prostatakrebs.

TV-Hinweis:

„Wien heute“, 21.November 2015, 19.00 Uhr, ORF 2 und danach zum Nachsehen in tvthek.ORF.at

Auch die Pflege und Patientenanwaltschaft fällt unter diese Hilfe zur Selbsthilfe, die seit 1992 aktiv ist. Schon seit 40 Jahren stehen Selbsthilfegruppen wie etwa eine für Familienangehörige und Freunde von Alkoholikern im Dienst des gemeinsamen Gesprächs, ebenso der Wiener Herzverband. Zu den jüngsten Gruppen gehört eine für Trauernde Eltern und die Lupus Selbsthilfe Wien, in der Betroffene ihre Autoimmunkrankheit besprechen können.

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