Neues Wiener Wahlrecht beschlossen

Im Landtag ist am Donnerstag der Schlussstrich unter eines der brisantesten Kapitel der vergangenen Legislaturperiode gezogen worden: Das Wiener Wahlrecht wurde geändert. Rot-Grün beschloss die Neuregelung im Alleingang.

Maßgeblich ist die Passage, in der es um die Berechnung der Gemeinderatsmandate nach dem Wahlergebnis geht. „Die Wahlzahl für die Verteilung der Gemeinderatsmandate wird gefunden, indem die Gesamtsumme der im Wahlkreis für die Parteilisten abgegebenen gültigen Stimmen durch die um 0,5 vermehrte Anzahl der Mandate geteilt wird“, heißt es dort.

Hinter der komplexen Formulierung verbirgt sich ein entscheidender Einschnitt: Denn jener Faktor, der starke Parteien - jahrelang die SPÖ, zuletzt auch vermehrt die FPÖ - überproportional bei der Mandatsverteilung begünstigt hat, wird halbiert. Das jahrelang umstrittene „plus 1“ wird nun zum „plus 0,5“. Ein Kompromiss, da die Grünen ursprünglich den „Verzerrer“ komplett abschaffen wollten, die Roten wiederum auf der bestehenden Regelung beharrt hatten.

SPÖ-Personalcoup verhinderte Reform zunächst

Die Erstauflage der rot-grünen Koalition hatte darüber ewig diskutiert. Wenige Monate vor der Wien-Wahl wäre es fast zum finalen Koalitions-Aus gekommen - als die Roten mit Senol Akkilic einen Grün-Mandatar ins Boot holten. Dieser Coup verhinderte, dass eine mögliche Neuregelung gegen die Stimmen der SPÖ (die damit über 50 Mandate verfügte, Anm.) beschlossen werden konnte - mehr dazu in SPÖ-Coup lässt Koalition wackeln.

Rot-Grün II verankerte die Wahlrechtsänderung sogleich im Koalitionspapier, um neuen Streit zu vermeiden. Tatsächlich wurde der Antrag nun innerhalb weniger Wochen auf Schiene gebracht.

Dieser enthält außerdem noch eine Änderung in Sachen Wahlkarten. Um zu spät eintreffende Briefstimmen künftig zu vermeiden, wird „der Zeitraum für die Ausstellung und die Rücksendung von Briefwahlkarten, analog der Praxis bei den Bundeswahlen, von zwei auf drei Wochen verlängert“. Sprich: Briefwähler haben eine Woche länger Zeit - jedenfalls vor dem Wahltag. Einlangen muss die Stimme aber jedenfalls bis zum Wahlschluss.

Ausländerwahlrecht: Appell an den Bund

Gewünscht wurden mittels Anträgen zudem - einmal mehr - Ausweitungen, zum Beispiel für Ausländer. Sie sollten etwa unter gewissen Voraussetzungen auf Gemeindeebene zur Urne schreiten dürfen, was in anderen Bundesländern bereits möglich ist. Allerdings: Wien ist gleichzeitig Gemeinde und Land - und Landtage dürfen nur von Staatsbürgern gewählt werden. Der Wiener Stadtregierung richtete darum mittels Antrag einen Appell an den Bund, hier entsprechende Änderungen vorzunehmen. Auch um die Möglichkeit zur Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträte wird der Bundesgesetzgeber ersucht.

Die Regierungsvertreter lobten den heutigen Beschluss. SPÖ-Mandatar Kurt Stürzenbecher würdigte einen „sehr guten Kompromiss“. Man halte das geltende Recht für besser, wobei der rote Redner auf internationale Beispiele verwies. Die Grünen seien wiederum für eine völlige Änderung gewesen: „Wir haben uns in der Mitte getroffen.“ Der Klubchef der Grünen, David Ellensohn, sprach von einem „Freudentag für die Demokratie“. Das Verhältnis Ergebnis und Mandate sei zwar nicht eins zu eins abgebildet - „aber sehr nah dran“. Es sei das „beste Wahlrecht“, das Wien jemals hatte, versicherte er.

Kritik von Opposition

Der FPÖ-Abgeordnete Dietbert Kowarik beklagte, dass es keine ausführliche Diskussion zu der Neuregelung gegeben habe. Die Meinung der FPÖ habe sich aber ohnehin nicht geändert. Die Blauen sind stets für die Abschaffung des mehrheitsfördernden Faktors eingetreten. Kowarik bot den Grünen an, doch noch einmal mit der Opposition dies umzusetzen: „Sie hätten jetzt die Möglichkeit, wir hätten 44 zu 56 (Mandate, Anm.).“

Wiens ÖVP-Klubchef Manfred Juraczka bewertete die Wahlrechtsnovelle als einen „Kuhhandel par excellence“. Er erinnerte an die langjährige Genese und befand, dass auch abgesehen vom Vermittlungsverfahren Änderungen nötig seien. So plädiert die Volkspartei etwa für ein Wahlrecht für Menschen mit Zweitwohnsitz in Wien.

Die Klubchefin der NEOS, Beate Meinl-Reisinger, ortete „zweifelsohne einen Schritt in die richtige Richtung“. Man könne nach fünfeinhalb Jahren Eiertanz aber nichts anderes sagen, als dass das Glas halb leer sei. Denn die NEOS, so bekräftigte sie, seien gegen mehrheitsfördernde Komponenten.

Landtagspräsident Harry Kopietz (SPÖ) zeigte sich am Ende der Debatte über den quasi historischen Beschluss sichtlich erleichtert: „Eine lange Causa ist damit abgeschlossen.“ Vergleichbar - und mit einem zarten Verweis auf den Hype um „Star Wars“ - kommentierten dies die Grünen auf Twitter: „Beschlossen es ist.“