Flüchtlingsklassen nur Übergangslösung

Entgegen ursprünglicher Pläne wurden an zehn Wiener Schulen Flüchtlingsklassen eingerichtet. Für die Gewerkschaft ist das sinnvoll. Der Stadtschulratspräsident und die Bildungsministerin sprechen von einer Übergangslösung.

Das sei „keine neue Politik“, sagte der Wiener Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorszky (SPÖ) am Montag. Mit der „pragmatischen Lösung“ wolle man vermeiden, bestehende Klassen zu trennen. Als Dauerlösung seien die Flüchtlingsklassen nicht gedacht. In Wien verfolge man den Anspruch, alle ankommenden Flüchtlingskinder möglichst unmittelbar an Schulen zu integrieren. Andere Bundesländer würden öfters warten, „bis der Aufenthalt verfestigt ist“, so Czernohorszky.

Wenn im Herbst die Klassen gebildet werden, könne man die Flüchtlingskinder aufteilen. Nachdem aber der Zuzug weitergehe und er nicht wolle, dass bestehende Klassen aufgrund einer Überschreitung der Schülerhöchstzahlen getrennt werden müssen, „schaffen wir vorbereitend für die Schullaufbahn danach diese Klassen“. Die Kinder sollen aber nicht diese „vorbereitenden Klassen“ weiter besuchen - mehr dazu in Zehn Klassen mit Flüchtlingskindern.

Ministerin: „Übergangslösung“

Auch Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) erklärte gegenüber der Mittagsausgabe der „Zeit im Bild“, dass es sich hier um eine „Übergangslösung“ handle. Einen Kurswechsel im Umgang mit Flüchtlingskindern gebe es nicht.

Laut Czernohorszky würden mit Beginn des neuen Schuljahres die nun in extra Klassen unterrichteten Kinder auch wieder über Wien verteilt. Halte der Flüchtlingsstrom auch danach an, sei nicht auszuschließen, dass man sich wieder mit dieser Maßnahme behelfen müsse. Der überwiegende Teil der bisher rund 2.000 in Wien angekommenen Flüchtlingskinder werde weiter in Regelklassen und zudem in „Neu in Wien“-Kursen, in denen der Schwerpunkt auf das Erlernen von Deutsch liegt, unterrichtet.

Eigene Klassen für Flüchtlingskinder

Entgegen der bisherigen SPÖ-Linie in Wien gibt es nun doch 10 reine Flüchtlingsklassen in Wien. Ob noch weitere dazukommen lässt der Stadtschulrat offen und verweist auf eine mögliche weitere Flüchtlingswelle.

In Richtung des Finanzministeriums bemängelte Czernohorszky, dass das Geld aus dem insgesamt 75 Mio. Euro schweren Integrationstopf, von denen 24 Mio. bundesweit für Maßnahmen an Schulen vorgesehen sind, lange blockiert war. Wenn es solche Verschiebungen während eines Schuljahres gebe, könne man nicht bei der Berechnung der Aufwände von einer fixen Größe im Herbst ausgehen. „Diese Erkenntnis ist so beim Finanzministerium noch nicht angekommen. Da muss sich das Finanzministerium bewegen und ich erwarte mir hier viel von den Finanzausgleichsverhandlungen“, sagte der Stadtschulratspräsident. In Wien habe man sich auf 100 zusätzliche Stellen für Unterstützungspersonal ab den kommenden Schuljahr geeinigt.

Für ÖVP und Grüne keine „Notlösung“

Diese brauche es bereits jetzt, so der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel in einer Aussendung, in der er auch die ÖVP-Forderung „nach Vorbereitungsklassen für nicht-deutsch sprechende Kinder“ wiederholte. Angesichts der nunmehr zehn Flüchtlingsklassen in Wien, zeige sich, dass diese Forderung „nun auch umgesetzt wird“, so Blümels Interpretation.

Für den Bildungssprecher der Grünen, Harald Walser, ist die Einrichtung von Flüchtlingsklassen in Wien „als Einstiegsmaßnahme unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll“. Es müsse jedoch klar sein, „dass diese Klassen nicht als Notlösung zu führen sind, sondern mit einem Konzept, das die Kinder auf den möglichst raschen Übertritt in die Regelklassen optimal vorbereitet“.

Flüchtlingsklassen für Gewerkschaft sinnvoll

Für Pflichtschullehrer-Gewerkschafter Stephan Maresch sind Flüchtlingsklassen sinnvoll, „weil sonst kaum noch Platz ist“. Man dürfe nicht vergessen, "dass der Zustrom aus dem Ausland in den letzten Jahren in Wien sehr groß war. Das heißt, die Klassenzusammensetzung in Wiener Pflichtschulen ist schon sehr heterogen, so Maresch im Ö1-Morgenjournal - mehr dazu in oe.1.ORF.at.

In Flüchtlingsklassen sind Kinder, die unterschiedliche Sprachen sprechen und vielleicht einen völlig unterschiedlichen Bildungsstand haben. „Das ist eine sehr große Herausforderung und ein großes Problem für die einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen, damit sind sie bis dato so noch nicht konfrontiert worden. Und es ist natürlich individuell abzuklären, je nach Zusammensetzung der Klasse, wie man vorgeht“, so Maresch.

Unterricht ohne Deutsch ist Realität

Wie lange Kinder durchschnittlich in diesen Extraklassen bleiben werden, ist unterschiedlich. „Wichtig ist uns als Personalvertretung auch anzumerken, dass die Gruppengröße nicht größer als fünfzehn Kinder sein darf. Es kommt schon an Schulstandorten vor, dass in solchen Klassen bis zu 25 Kinder integriert werden – und das ist nicht machbar“, so Maresch. „Man kann nicht den ganzen Tag Deutsch lernen, sondern man muss den Kindern auch einmal unsere Kultur beibringen. Dementsprechend sind die Lehrer gefordert, sich Konzepte zu überlegen, wie gehen sie vor, dass sie die Kinder überhaupt auf den österreichischen Alltag vorbereiten.“

Laut Maresch muss das vorerst auch „ohne Deutsch“ gehen. Denn "manche Kinder lernen sehr schnell die Sprache, andere brauchen dafür aber Jahre. Und die Realität zeigt einfach, dass es nicht anders geht.“

Lehrer müssen sich selbst um Unterlagen kümmern

Die Gewerkschaft fordert mehr Unterstützungspersonal. Diese Forderung gab es aber auch schon vor der Flüchtlingskrise. Der Wiener Stadtschulrat stellte mobile Teams mit Dolmetschern und Fachkräften in Aussicht, die von Schule zu Schule fahren. „Das ist eine Lösung, aber es ist in wirklich ein Tropfen auf dem heißen Stein. Uns wurde schon unter der Amtszeit der Ministerin Claudia Schmied Supportpersonal in ausreichender Größe versprochen. Bis heute haben wir dieses Supportpersonal leider nicht.“

Auf die Frage, ob es für Lehrer Schulungen oder professionelle Anleitungen für den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern gibt, antwortete Maresch: „Möglicherweise gibt es diese Dinge, sie werden aber nicht zentral kommuniziert. Sondern jede einzelne Lehrerin bzw. jeder einzelne Lehrer muss sich diese Unterlagen und diese Fortbildungsmaßnahmen selbst zusammensuchen.“

Kinder „können nicht einmal mit Besteck essen“

Die Flüchtlingskrise ist nicht das einzige Problem des Bildungssystems. Jeder fünfte Jugendliche versteht nicht, was er liest. "Ich denke, es ist auch ein gesellschaftliches Problem. Kinder kommen immer unterschiedlicher in den Unterricht: Heutzutage gibt es Kinder, die können schon rechnen und lesen, wenn sie in die Schule eintreten. Und die anderen können nicht einmal mit Besteck essen. Das ist die Praxis – vor allem im Großstadtbereich.“ Auch bei der Lehrerausbildung seien laut Maresch Fehler passiert. „Die Besten der Besten bekommt man nur, wenn man ein gutes Gehalt zahlt, wenn man Lehrer wertschätzend in der Gesellschaft behandelt und das sehe ich momentan in Österreich nicht.“