Nackter Mann im Theseustempel

Er sitzt nackt in seinem Holzboot und zieht mit seinem vieldeutigen Blick viele in seinen Bann: Ab Mittwoch ist Ron Muecks Skulptur „Man in a Boat“ bis September im Theseustempel im Wiener Volksgarten zu sehen.

Der Blick scheint nicht ganz eindeutig: Ist es dezente Überraschung, ein kritisches Analysieren oder doch Resignation? Diese Skulptur eines nackten Mannes im mittleren Alter, der ein bisschen verloren in seinem Holzboot sitzt, bietet viele Anknüpfungspunkte.

Skulptur mit „extremer Vieldeutigkeit“

Im Theseustempel bietet das Kunsthistorische Museum (KHM) seit fünf Jahren eine zeitgenössische Ausstellungsreihe. „Und seit damals, als wir Ugo Rondinones Olivenbaum gezeigt haben, wollte ich wieder zum Figurativen zurückkehren“, betonte Kurator Jasper Sharp. Mit Mueck ist dies nun eindrucksvoll gelungen. „Ich habe lange überlegt, welche seiner Arbeiten passen würde.“ Der „Man in a Boat“ sei schon aus formalen Gründen geeignet, „durch seine Beziehung zum Raum“. Andererseits strahle er, wie alle Arbeiten Muecks, eine „extreme Vieldeutigkeit“ aus.

Neue Bedeutung durch Flüchtlingstragödien

Der australische Künstler mit deutschen Wurzeln, der sich vor einiger Zeit in Großbritannien niederließ, hat sich mit hochrealistischen, meist aus Silikon und Fiberglasverbindungen bestehenden Skulpturen einen Namen gemacht. Nachdem er zunächst für Fernsehen und Film (darunter Jim Hensons „Labyrinth“) Modelle schuf, sorgte sein „Dead Dad“, eine Darstellung seines verstorbenen Vaters, 1997 als Teil einer Schau in der Royal Academy in London für Aufsehen.

Ausstellungshinweis:

Ron Mueck: „Man in a Boat“, 20. April bis 6. September, im Theseustempel, täglich von 11.00 bis 18.00 Uhr.

Aber der „sehr private Künstler“ (Sharp) konfrontierte sein Publikum auch mit Masken seines eigenen Gesichts, überdimensionalen Neugeborenen oder einem hockenden, mehrere Meter großen Buben, den er bei der 49. Kunstbiennale in Venedig zeigte. Wie diese Arbeiten verlangt auch der Mann im Boot dem Betrachter einiges ab: Mit unglaublicher Detailtreue hat Mueck diese Figur, die etwas mehr als die halbe Lebensgröße besitzt, in das vordere Drittel des sichtlich gezeichneten Bootes gesetzt.

Eine Metapher für die Geburt, eine für den Tod? Vieles scheint möglich, wie auch Sharp meinte. Nicht zuletzt die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer hätten sich in jüngster Zeit als zusätzliche Bedeutungsebene über das Werk gelegt. „Ist das also ein Statement darüber, was gerade in der Welt passiert? Jedenfalls war es so nicht geplant“, verwies der Kurator auf die Entstehungszeit zwischen 2000 und 2002. „Es sind unsere Zuschreibungen, Gedanken und Sorgen.“

Privates und ruhiges Werk

Zu sehen ist Muecks Arbeit bis Anfang September, wobei man erstmals bei einer Präsentation im Theseustempel auch zwei künstliche Lichtquellen installiert hat. „Allerdings nur für Tage mit bedecktem Himmel, man wird das kaum bemerken“, erläuterte Sharp. Bei der Presseführung wurde auch ein 14-minütiger Film vorgeführt, der Mueck in seinem Studio bei der Arbeit zeigt. „Er imitiert nicht die Realität, er beschwört sie“, so Sharp, der das insgesamt nur 43 Arbeiten umfassende Oeuvre Muecks als „das Gegenteil von sensationsheischend“ bezeichnete. „Auch dieses Werk ist sehr privat und ruhig.“

Dennoch zieht dieser Mann in seinen Bann. Die leicht nach vorne gebeugte Position des Körpers, die verschränkten Arme, der gereckte Hals oder die feinen Haare auf den Fingern - hier verschwimmen Realität und Künstlichkeit. Zudem reflektieren die Gebrauchsspuren des Boots - Mueck hat es einer Gruppe Kadetten abgekauft - etwas Unmittelbares auch auf den Körper. Beide, Boot wie Mann, scheinen schon einiges erlebt zu haben. Nur was, darüber muss man sich selbst klar werden.

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