Brunnenmarkt: Staatsanwalt entgegnet Vorwürfe

Hätte der Mord auf dem Brunnenmarkt verhindert werden können? Es gibt Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft, diese weist aber jede Kritik zurück. Eine Sonderkommission des Justizministeriums soll Klarheit schaffen.

Schwer wiegen Vorwürfe, die die Wochenzeitung „Falter“ in ihrer jüngsten Ausgabe erhob und nach deren Bekanntwerden das Justizministerium nun reagierte: 18 Strafanzeigen, vier laufende Strafverfahren, unter anderem wegen Raubes und Körperverletzung, und 26 vergebliche Aufforderungen, persönlich bei der Staatsanwaltschaft zu erscheinen: Das ist laut „Falter“ (Mittwoch-Ausgabe) die Bilanz aus den Akten des 21-jährigen Kenianers, der vergangene Woche eine 54-jährige Putzfrau mit einer Eisenstange erschlagen haben soll.

Bereits am 22. März forderte die Polizeiinspektion Brunnengasse offenbar die Wiener Staatsanwalt in einer E-Mail auf, endlich aktiv zu werden und einen „Arbeitsauftrag“ zu erteilen. Ein Haftbefehl wurde gegen den 21-Jährigen jedoch auch nach diesem Hinweis nicht erlassen, berichtete der „Falter“ aus den Akten. Die Staatsanwaltschaft habe nicht reagiert.

Staatsanwaltschaft weist alle Vorwürfe zurück

Sehr wohl reagiert hat die Staatsanwaltschaft nun auf die medial kolportierten Vorwürfe. Am Dienstagnachmittag hieß es, die Mail eines Polizisten („Arbeitsauftrag“) sei „umgehend bearbeitet worden“, versicherte Behördensprecherin Nina Bussek: „Die Sachbearbeiterin hat natürlich geantwortet. Es gibt einen Mail-Verkehr. Es wurde das weitere Vorgehen besprochen. Es wurde aber keine Festnahmeanordnung erlassen, weil das nach Ansicht der Staatsanwaltschaft unverhältnismäßig gewesen wäre.“

Bussek sagte weiters, dass die kolportierten Zahlen von 18 Anzeigen und vier anhängigen Verfahren nicht stimmen. Richtig sei, dass gegen den gebürtigen Kenianer beim Straflandesgericht seit 2014 ein Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt nach einem Ladendiebstahl anhängig sei. In dieses Verfahren wurden laut Bussek mehrere kleine Lebensmitteldiebstähle einbezogen.

Der 21-Jährige wurde außerdem im Jahr 2015 zweimal wegen leichter Körperverletzung angezeigt. Dass dabei schon einmal eine Eisenstange im Spiel war, wie es in Medienberichten geheißen hatte, „steht nicht hundertprozentig fest, zumal diese Anzeige erst drei Wochen nach dem Vorfall eingegangen ist“, sagte Bussek. 2016 wurde gegen den gebürtigen Kenianer schließlich noch wegen Sachbeschädigung ermittelt. Dieses Verfahren wurde eingestellt.

Sonderkommission soll Versäumnisse klären

Stellungnahmen aller Beteiligten erwartet mit Sicherheit die von Justizminister Wolfgang Brandstetter eingesetzte Sonderkommission. „Mögliche Versäumnisse in der Zusammenarbeit der zuständigen Behörden, insbesondere an den Schnittstellen von deren Zuständigkeiten, müssen restlos aufgeklärt werde“, bekräftigte Brandstetter. Zum Leiter der Sonderkommission wurde Helfried Haas, Vizepräsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen (ZRS) Wien, bestimmt.

Die „medial transportierten Vorwürfe“ sollten umgehend überprüft werden und „mögliche Versäumnisse" im Vorfeld der Bluttat am Brunnemarkt restlos aufgeklärt werden“, so Brandstetter. Er sei „an der umfassenden Aufklärung der Umstände, wie es dazu überhaupt kommen konnte, interessiert“. Berichte, wonach die Staatsanwaltschaft Wien nicht auf ein Ersuchen eines Polizisten um einen „Arbeitsauftrag“ reagiert habe, lasse sich „aus den uns vorliegenden Akten nicht nachvollziehen“, so Brandstetter weiter.

TV-Hinweis

Er war Standlern und Bewohnern rund um den Brunnenmarkt in Ottakring gut bekannt: der 21-jährige Kenianer, der eine Frau ohne ersichtlichen Grund erschlagen haben soll - mehr dazu in Thema (tvthek.ORF.at).

Aufgabe der Sonderkommission sei es, „die sozialen und psychiatrischen Umstände sowie den jeweiligen Kenntnisstand der betroffenen Behörden zu erheben, um allfällige Missstände aufzudecken und entsprechende notwendige Maßnahmen daraus abzuleiten“. Dazu soll die Kommission mit allen betroffenen Behörden auf Bundes- und Landesebene sowie auch der Volksanwaltschaft Kontakt aufnehmen und diese einbinden. Die Ermittlungen wegen Mordes führe selbstverständlich weiter die Staatsanwaltschaft Wien.

Staatsanwalt: „Ich bin schockiert“

Laut „Falter“ hat die Staatsanwaltschaft auch als der Mann im Juni 2015 angezeigt worden war, weil er einem Passanten mit einer Eisenstange auf den Kopf schlug, keinen Haftbefehl erlassen und auch keinen Gerichtspsychiater bestellt. Auch ein Amtsarzt oder ein Sachwalter seien nicht konsultiert worden. „Ich bin schockiert. Wir hätten handeln müssen“, zitierte die Wochenzeitung einen Staatsanwalt zu den Vorgängen.

Auf dem Brunnenmarkt sind am Samstag rund 80 Menschen zum stillen Gedenken an das Opfer zusammengekommen

Laut „Falter“ soll der 21-Jährige von der Polizei zudem mehrmals wegen „tobender Psychosen“ in psychiatrische Krankenhäuser gebracht worden sein, aufgenommen wurde er jedoch offenbar nicht. Auch zu Versuchen, den Kenianer abzuschieben, gibt es neue Informationen: Anders als die kenianische Botschaft angab, stellte das Innenministerium offensichtlich schon im Sommer 2015 einen Antrag auf ein Heimreisezertifikat. Die Botschaft hat jedoch bis heute nicht geantwortet.

Witwer will Staat klagen

Der Witwer der ermordeten 54-jährigen Frau will unterdessen den Staat Österreich klagen. Er wirft den Behörden Untätigkeit vor: „Jeder am Brunnenmarkt kannte den Mann und wusste, dass er gefährlich ist. Auch die Polizei wusste, wer er ist und wo er sich aufhält. Wieso haben sie nie die Anordnung erhalten, ihn wo hinzubringen, wo er niemandem etwas tun kann?“, sagte er etwa in einem Interview mit der Zeitung „Österreich“ (Sonntag-Ausgabe) - mehr dazu in Mord auf Brunnenmarkt: Witwer klagt.

Die Frau des 65-Jährigen war in der Nacht auf Mittwoch letzter Woche mit einer Eisenstange erschlagen worden. Der mutmaßliche Mörder sitzt in Untersuchungshaft - mehr dazu in Frau mit Eisenstange erschlagen: Motiv unklar und in Mord in Ottakring: U-Haft verhängt.

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