Multikulturelle Banden statt Praterstrizzis

Schießereien, Drogenhandel und Prostitution: Der Prater ist seit jeher Schauplatz für Kriminalität. In den 60er/70er Jahren gab es eine Wiener Unterwelt, heute sind die Geschäfte multikulturell aufgeteilt, so ein ehemaliger Polizist.

„Es ist eine Mischkultur: Die kleinen Strizzis treten dort auf, die Ausländerszene, die Besucher und die Abgängigen“, erzählt Max Edelbacher, Polizeijurist in Ruhe und langjähriger Leiter des Wiener Sicherheitsbüros, bei seinem Vortrag „Die Praterstrizzis, der kriminelle Prater“ im Wien Museum. „Wenn sich jemand unterhalten will oder ein rasches Abenteuer sucht, dann ist er im Prater richtig. Und das zieht seit 250 Jahren Prostitution, Glücksspiel und Trickbetrügereien an.“

Puelcher Wien Museum

© Wien Museum

Ein sogenannter Pülcher, also Strolch, Dieb, Krimineller, 1886

Kleinkriminelle treiben sich schon immer im Prater herum. Bereits 1844 gab es beispielsweise eine Wette zwischen zwei Strizzis. Der eine sollte ein Wagenrad vom Lusthaus ins Helenental treiben. Ihm wurden jedoch Abführmittel verabreicht und verlor deswegen. Als Rache tötete er den anderen Strizzi, erzählt Edelbacher.

Geld durch Prostitution und Glücksspiel

Während der NS-Zeit war Kriminalität verboten, so wurde etwa 1944 eine Bande Taschendiebe zum Tode verurteilt. Die Blüte des sogenannten „Wiener Kreises“, wie Kriminologen die Wiener Unterwelt bezeichnen, brach nach dem Zweiten Weltkrieg an. Teil davon war die „Gürtel- und Praterpartie“, wobei die Praterpartie die weitaus mächtigere und gefährlichere Gruppe war.

„Die Haupteinnahmequellen waren Prostitution und Glücksspiel“, so Edelbacher. Die Wiener Unterwelt wurde in den 60er und 70er Jahren von einem Dreigestirn beherrscht: Heinz Bachheimer („der Rote Heinz“), Franz Altmann („der Oide“) und Waldheim („Waldi“).

„Es lag viel Blei in der Luft“

„Der Wiener Kreis hatte eine führende Position und hat Kriminalität exportiert. Zwischen den zwei Gruppierungen gab es immer wieder Auseinandersetzungen. Es lag viel Blei in der Luft, es wurde viel geschossen. Man war nicht zimperlich und hat gleich die Waffe gezückt. Gruppen- und private Konflikte waren immer zugegen“, sagt Edelbacher. Zu dieser Zeit gab es etwa 50 Tötungsdelikte in Wien pro Jahr, heute sind es etwa 15.

Praterausstellung Wien Museum

ORF/Rieger

Eine der Haupteinnahmequellen der Wiener Unterwelt war die Prostitution

„Die Lokale waren ihre Treffpunkte, wo Strafhandlungen ausgeführt wurden“, sagt Edelbacher. „Der Rote“ hat die zwei rivalisierenden Gruppen dann zusammengebracht. „Es sind dann Schmuggel und Hehlerei, sowie Kunstdiebstahl und -handel hinzugekommen. Es wurde über das Mittelmeer geschmuggelt. Viele Güter sind auch über die Donau gekommen. Elektronische Geräte etwa wurden meist in den damaligen Osten verkauft“, so Edelbacher.

Eisener Vorhang veränderte Unterwelt

„Der Rote“ war der Anführer des Dreiergespanns. 1978 wurde er verhaftet. „Der schöne Eduard“ trat die Nachfolge an. Das Kriminalitätsnetz reichte von Holland bis Italien. „Mit der Balkanbewegung kamen schon die Balkantäter nach Wien. Der letzte Unterweltboss war Richard Steiner. Er war auch schon ein Kroate, hat aber eine österreichische Prostituierte geheiratet und deswegen einen deutschen Namen“, sagt Edelbacher. Steiner modernisierte die Kriminalität und hielt etwa Videokonferenzen aus Mallorca oder der Dominikanischen Republik ab.

Max Edelbacher

ORF

Der Prater war jahrelang das Arbeitsgebiet von Max Edelbacher

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs veränderte sich auch die Wiener Unterwelt. „Heute, 2016, haben wir eine Mischkultur. Die Kriminalität ist multikulturell. Die Afghanen, Tschetschenen, Georgier, Balkanstämmigen, Nigerianer etc. teilen sich die Geschäfte auf“, so Edelbacher.

„Keine Handschlagqualität mehr“

Auch für die Polizei hat sich die Arbeit verändert: „Bei den Wiener Strizzis gab es Ehre und Handschlagqualität zwischen Polizei und Kriminellen. Wenn wir damals in den 60er/70ern mit dem Auto ausgefahren sind, hat man gewusst, dass wir wen suchen. Die Köpfe der Wiener Unterwelt haben dann gesagt: Stell dich morgen in der Früh. Und derjenige ist dann tatsächlich am nächsten Tag in der Früh um acht Uhr beim Eingang des Sicherheitsbüros gestanden. Das ist im Laufe der Jahre verloren gegangen.“

„Die Kriminalität hat sich teilweise auch in das Internet verlagert. Viele Betrugsfälle und Kommunikationen laufen über Handy, SMS, Internet ab. So laufen die Absprachen der Kriminellen intern anders ab, aber auch die Polizei hat sich angepasst“, so Edelbacher.

Wiener Szene ist am Aussterben

Heute zählt der Praterstern wieder zu den sogenannten Hotspots in Wien. „Obwohl sich viel von den Straßen in die Wohnungen verlegt hat, besteht am Praterstern heute noch immer eine Mischszene: Drogen, Strich, Obdachlose, Kleinkriminelle. Es wird nie ganz aussterben. Mädchen, die rasch Geld brauchen, Drogenabhängige, die Geld brauchen, Slowakinnen, die Geld brauchen, sie alle kommen nach wie vor zum Prater“, so Edelbacher.

Dealer Drogen Gesetz

APA/HELMUT FOHRINGER

Auch heute noch ist der Praterstern Hotspot der Kriminalität

Und die ehemaligen Unterwelt-Bosse? „Der schöne Eduard“ etwa ist Biobauer geworden. Richard Stein verkauft Bio-Vodka "und „der Rote" ist vergangenes Jahr beim Handelskai, in der Nähe vom Prater, aus dem 6. Stock gesprungen und hat sich umgebracht, weil er an Magenkrebs litt. Das ist ein bisschen ein symbolischer Akt für das Aussterben der Wiener Szene“, sagt Edelbacher.

Lisa Rieger, wien.ORF.at

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