Obdachlose führen durch Wien

Besondere Stadtführungen gibt es ab sofort in Wien: Obdachlose und ehemals obdachlose Menschen zeigen dabei, wie ein Leben ohne Wohnung in der Stadt funktioniert, welche wichtigen Orte, aber auch welche Probleme es gibt.

Die Berufsschüler der Mollardgasse hören gespannt zu, wenn Ferdinand erklärt, wie man ohne Bankkonto zurechtkommt und wo man in Ottakring am besten unbemerkt auf die Toilette geht. Ferdinand ist ein „Supertramp“, der mit seiner Tour durch Ottakring Vorurteile über Obdachlose abbauen möchte.

Er war selbst dreieinhalb Jahre wohnungslos, nachdem er seinen Job bei einem Lkw-Produzenten verloren hat und auf den Kosten für die Pflege seines Vaters sitzen geblieben ist. Viele Nächte musste er in Notschlafstellen verbringen, die aber nur in der Nacht geöffnet sind. Unter Tags war Ferdinand entweder auf der Straße oder in Tageszentren für Obdachlose.

Ferdinand erzählt Schülern der Berufsschule Mollardgasse

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Ferdinand erzählt Schülern der Berufsschule Mollardgasse von seinem Leben

Wie ein Leben ohne Wohnung funktioniert

Deshalb ist das Tageszentrum VITO eine Station seiner Tour. Ferdinand erklärt, welche grundlegenden Bedürfnisse dort gestillt werden. „Hier kann man einfach Zeit verbringen. Es gibt auch etwas zu essen. Außerdem kann man hier duschen und Wäsche waschen.“

Auch bei den anderen Stationen seiner 90-minütigen Tour erzählt Ferdinand von seinem Alltag, als er ohne feste Wohnung gelebt hat. Vor der Polizeistation erinnert er sich an Gesetzeskonflikte. Beim Arbeiter-Samariter-Bund beschreibt er, wie auch Menschen ohne e-card ärztliche Hilfe bekommen können.

Ferdinand erzählt Schülern der Berufsschule Mollardgasse

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Die Guides haben große Freude mit den Touren

Wiedereingliederung in Gesellschaft

Neben Ferdinand gibt es derzeit fünf weitere „Supertramps“, die Touren mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten anbieten. Weitere Tour-Guides sind derzeit in Ausbildung. Alle „Supertramps“ befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Wohnungslosigkeit – vom Notquartier-Bewohner über Menschen, die sozial betreut wohnen bis hin zu ehemals Obdachlosen.

Organisiert werden die Touren von einem Verein, den Katharina Turnauer gegründet hat. Das Ziel der Touren ist es auch, das Selbstwertgefühl der Guides zu stärken. Bei den Guides sei nach den ersten Touren bereits eine Veränderung spürbar, sagt Katharina Turnauer: „Viele waren in einer Depression. Durch die Führungen haben sie die Freude und Motivation bekommen, sich wieder in die Gesellschaft einzubinden.“

Die Touren richten sich an alle Interessierten, sowohl an Wienerinnen und Wienern, die ihre Stadt aus einer anderen Perspektive erleben möchten als auch an Touristen, die an einem Wien abseits der bekannten Sehenswürdigkeiten interessiert sind.

Die Tour der Hoffnung

Ferdinand will mit seiner Tour Bewusstsein schaffen bei den Menschen, die bisher keine oder wenige Erfahrungen mit Obdachlosen gemacht haben. „Ich möchte sie ein bisschen aufgeschlossener machen für die zahlreichen Leute, die auf Wiens Straßen existieren und vegetieren“, sagt er. Seine Tour heißt „Wien, meine Hoffnung!?“.

Seine Hoffnung auf eine Wohnung ist bei Ferdinand mittlerweile erfüllt. Er wohnt jetzt in einem sozial betreuten Wohnhaus ohne Auszugstermin. Auf der Tour durch seinen Heimatbezirk Ottakring zeigt er die Orte, die ihm auch in seiner Zeit als Obdachloser Hoffnung gegeben haben. „Ich verbinde mit jeder Ecke im Bezirk ein Erlebnis, das mir ein Lächeln ins Gesicht bringt“, sagt Ferdinand zum Abschluss seiner Tour, bei der er Verständnis schafft bei denen, die bisher mehr Glück hatten als er.

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