„Dann war die Reichsbrücke auf einmal weg“

In Genua sind zahlreiche Menschen beim Einsturz einer Autobahnbrücke ums Leben gekommen. Vor 42 Jahren verlor beim Einsturz der Reichsbrücke in Wien „nur“ ein Mann sein Leben, weil die Brücke Sonntagfrüh zusammenbrach.

Tonnen von Stahl sanken am 1. August 1976 kurz vor 5.00 Uhr in die Donau. Der Einsturz der Reichsbrücke verursachte ein Krachen, das viele Wiener aus dem Schlaf riss und sogar in der Erdbebenzentrale auf der Hohen Warte registriert wurde.

Geringe Opferzahl dank früher Uhrzeit

Nur vier Fahrzeuge befanden sich zum Zeitpunkt des Einsturzes auf der Brücke: ein VW-Käfer mit einer Reifenpanne, ein ÖAMTC-Einsatzfahrzeug, ein Kombi und ein Gelenkbus der Linie 26A. Letztere stürzten mit der Brücke in die Donau. Der 22-jähriger Lenker des Kombis ertrank in den Fluten, der Buschauffeur kam unverletzt mit dem Schrecken davon. Er kommentierte das Erlebnis später mit: „A echta Weana geht ned unter.“

Ein Augenzeuge beobachtete das Geschehen: „Ich habe gerade Schreibarbeiten gemacht, auf einmal hat die Brücke zu wackeln angefangen, wie auf einem hohen Seegang. Und dann ein fürchterlicher Krawall, Staub, man hat nichts mehr gesehen. Dann war die Brücke auf einmal weg“, berichtete Franz Andras in einem Interview mit dem ORF.

Dass die Opferzahl beim Einsturz einer der am meisten befahrenen Brücken Wiens nicht höher war, lag vermutlich an der Uhrzeit. Doch für den Rest der Stadt waren die Folgen verheerend. Die Reichsbrücke diente nicht nur als Verkehrsknotenpunkt, sondern auch als Versorgungsleitung für den Norden Wiens. Die gebrochenen Wasserleitungen überfluteten den Handelskai. Zahlreiche Menschen nördlich der Donau waren einen Tag lang ohne Strom, Gas, Wasser- und Telefonanschluss.

Maroder Betonpfeiler und defektes Brückenlager

Zudem wurden aufgrund der beschädigten Gasleitungen Explosionen befürchtet. Am Unglücksort herrschte tagelang strenges Rauchverbot. Die ganze Stadt stand unter Alarmstufe IV. Ein Viertel aller in Wien verfügbaren Einsatzkräfte arbeitete zusammen mit dem Bundesheer unermüdlich daran, wieder Normalität herzustellen.

Der damalige Bürgermeister Leopold Gratz (SPÖ) ordnete an, die Unglücksursache sowie alle Wiener Brücken sofort zu prüfen. Ein 400 Seiten langes Gutachten kam zum Schluss, dass der Einsturz nicht vorherzusehen war. In einen der Betonpfeiler war Wasser eingedrungen, wodurch es zu Rissen gekommen war, was unter der Granitummantelung nicht zu sehen war. Das darauf befindliche Brückenlager gab nach. Planungsstadtrat Fritz Hofmann (SPÖ) übernahm die politische Verantwortung und trat zurück.

Überprüfung schleißig, Sanierung überfällig

Zwei Tage nach dem Unglück wurde der Wiederaufbau der Brücke beschlossen und eine Behelfsbrücke zur Entlastung des Verkehrs errichtet. Vier Jahre später, am 8. November 1980, wurde die neue Reichsbrücke eröffnet. Sechs Spuren mit einem Rad- und Fußgängerweg sowie zwei U-Bahn-Gleise für die Verlängerung der U1 nach Kagran 1982 verbinden seither die Leopoldstadt mit der Donaustadt.

Für Aufregung sorgte 2016 ein Bericht des Stadtrechnungshofes. Dieser kritisierte die mangelnde Überprüfung der Pfeiler und den längst fälligen Austausch der Brückenlager. Die Stadt entgegnete, die Brücke sei dennoch sicher. Im Herbst sollte die Sanierung beginnen. Der Verkehr soll dadurch nicht gestört werden - mehr dazu in Reichsbrücke: Kritik an schleißigen Kontrollen.

Hauptprüfung alle sechs Jahre

In Österreich gibt es alle sechs Jahre eine Hauptprüfung für Brücken. In den Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen ist zudem eine Kontrolle vorgesehen, die mindestens alle zwei Jahre erfolgt. Zudem kontrollieren die Straßen- und Brückenmeister jedes Brückenbauwerk alle vier Monate. Dabei werden auffällige Veränderungen im Erhaltungszustand detailliert erfasst und auf Beschädigungen an Leitelementen, feuchte Stellen sowie Schwingungsverhalten überprüft.

Alle zwei Jahre erfolgt ein Kontrolle durch geschultes Fachpersonal. Alle sechs Jahre gibt es dann eine Hauptprüfung durch sachkundige Ingenieure, die mehrere Tage dauern kann. In diesem Verfahren wird eine detaillierte Checkliste abgearbeitet und alles mit Fotos dokumentiert. Die Kontrolleure fertigen Protokolle an, in denen etwaiger Rost im Tragwerk ebenso erfasst wird wie die Dichte des Betons und das Schwingungsverhalten der Konstruktion.

Nach Elementarereignissen wie etwa bei Hochwasser wird auch außerplanmäßig kontrolliert, denn Brückenpfeiler können bei Überschwemmungen binnen weniger Tage gleich um mehrere Meter unterwaschen werden. Zusätzliche Sonderprüfungen sind immer dann durchzuführen, wenn Schäden festgestellt oder durch äußere Anzeichen vermutet werden.

Bus noch bis 1989 unterwegs

Den städtischen Gelenkbus, der mit der Brücke in die Tiefe krachte, gibt es übrigens noch immer. Er war bis 1989 regulär unterwegs und kann jetzt im Wiener Straßenbahnmuseum besichtigt werden. Die Katastrophe überstand er fast unbeschadet, lediglich die Front war eingedrückt. Er stand einige Tage im Wasser und wurde dann per Schwimmkran geborgen. 2016, zum 40. Jahrestag des Einsturzes, reaktivierten die Wiener Linien den Bus für eine Ausfahrt.

Bus Reichsbrücke Wiener Linien

Wiener Linien

Der Bus der Wiener Linien wurde für eine Fahrt über die Brücke reaktiviert

Dass der Bus damals gerade die Reichsbrücke querte, war reiner Zufall. Der Fahrer - er war noch lange als Buschauffeur im Einsatz - kam zu spät zum Dienst und nahm von der Betriebsgarage kommend eine Abkürzung.

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