Nach Unfall: Justiz ermittelt seit acht Jahren

Ein damals 28-jähriger Bauarbeiter ist am 15. Juli 2008 bei einem Arbeitsunfall auf der Großbaustelle im Lainzer Tunnel schwer verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun seit acht Jahren, ob es zu lasche Sicherheitsmaßnahmen gab.

Der Mann wurde im Schacht Lainzer Straße, Bauteil P von einem rückwärtsfahrenden 17 Tonnen schweren Muldenkipper erfasst und überrollt. Ihm musste in weiterer Folge der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Fahrer des Kippers wurde im darauf folgenden Jahr vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Aufgrund der Bauart des Fahrzeugs konnte er den gerichtlichen Feststellungen zufolge den im toten Winkel befindlichen Arbeiter nicht wahrnehmen.

Die Frage, ob zu lasche Sicherheitsmaßnahmen unfallkausal waren, ist demgegenüber nach wie vor offen. „Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen“, so Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, zum aktuellen Stand des Verfahrens, das gegen den damaligen Gesamtbauleiter sowie den Baustellenkoordinator geführt wird.

Gutachten liegt seit Mai 2013 vor

Dabei liegt seit Mai 2013 ein von der Staatsanwaltschaft Wien eingeholtes Gutachten vor, das deutlich macht, dass der Unfall nicht passiert wäre, wären der Fahrweg für die Baumaschinen und der Gehweg für die Arbeiter durch eine Betonleitwand getrennt gewesen.

Da dies nicht der Fall war, wäre laut Gutachten darauf zu achten gewesen, dass der Muldenkipper im Rückwärtsgang eine spezielle optische Warneinrichtung anzeigt und das Fahrzeug von einem Einweiser dirigiert wird. Überdies war der Muldenkipper zum Unfallzeitpunkt mit rund 15 Stundenkilometern unterwegs, obwohl gemäß Bauarbeiter-Schutzverordnung beim Passieren von Arbeitsstellen nur Schritttempo erlaubt ist.

Gutachten: Mehrere Zwischenfälle auf der Baustelle

Der auf technisches Unfallwesen und Arbeitsschutz spezialisierte Sachverständige Martin Dür stellt in seiner 115-seitigen Expertise klar, dass das akustische Warnsignal, mit dem der Kipper ausgestattet war, „vor allem bei längeren Rückwärtsfahrten kein Ersatz für zusätzliche Hilfseinrichtungen zur Verbesserung der Sicht“ war. Um Kollisionen zu vermeiden, wären am Fahrzeug entweder eine optische Rückraumüberwachung mittels eines Kamerasystems oder zusätzliche Spiegel anzubringen gewesen.

Grundsätzlich weist der von der Justiz beigezogene Sachverständige darauf hin, dass es in der Großbaustelle Lainzer Tunnel immer wieder zu schweren Unfällen kam, ohne dass von den Verantwortlichen darauf mit strengeren Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit der Arbeiter reagiert wurde. Allein zwischen Ende Oktober 2007 und Anfang Juni 2008 gab es vier Zwischenfälle, bei denen Arbeiter von Baufahrzeugen angefahren wurden, weil sie sich im toten Winkel befanden. Ein Mann kam am 11. März 2008 ums Leben, als er zwischen einem Beton-Mischwagen und einem Spritzmobil eingeklemmt wurde.

„Selbst nach dem tödlichen Arbeitsunfall [...] wurde in den Baukoordinationsbesprechungen das Thema Verkehrswege im Tunnel bis nach dem gegenständlichen Arbeitsunfall am 15. Juli 2008 nicht mehr dokumentiert“, kritisiert der Gutachter. Spätestens mit dem Todesfall sei klar gewesen, dass die bisher getroffenen Maßnahmen wie die Beschilderung der Verkehrswege nicht ausreichend waren. „Daher wäre aus sicherheitstechnischer Sicht eine umfangreiche Nachevaluierung des Problems Gefährdung von Personen durch Fahrzeugbewegung durchzuführen gewesen“, stellt Dür in seiner Expertise klar.

„Wartezeit von mehr als acht Jahren unzumutbar“

Für Sebastian Lesigang, den Anwalt des vier Monate nach dem tödlichen Unfall schwer verletzten Arbeiters, ist es unverständlich, dass es über drei Jahre nach Vorliegen dieses Gutachtens noch immer keine Entscheidung gibt, ob auf Basis seiner Anzeige gegen die Bauleitung und den Baustellenkoordinator ein Strafantrag eingebracht wird.

Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil ein Zivilverfahren, in dem der Betroffene unter anderem Schmerzengeld, eine Entschädigung für die erlittene Verunstaltung sowie Pflegegeld geltend macht, bis zur Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit unterbrochen wurde. „Für das Unfallopfer, das bisher keinen Cent gesehen hat, ist eine Wartezeit von mehr als acht Jahren unzumutbar“, so Lesigang im Gespräch mit der APA.