Kippenberger als „Literat der Bildtitel“

Die Personale zu Martin Kippenberger im Kunstforum setzt einen Fokus auf die Sprache des deutschen Künstlers und Literaten. Der früh verstorbene Kippenberger hatte auch enge Verbindungen nach Österreich.

„Das Ende des Alphabets“: XYZ, in Lettern aus Gummi, Pressspan und Kork. Die Pumpe zum X-Wiederaufblasen gleich mitgeliefert. Martin Kippenberger war nicht nur Kunst-Persifleur, Selbst-Inszenierer und Szene-Aufreger. Der 1997 verstorbene deutsche Künstler war vor allem auch Literat der Bildtitel. Seinem „Wortwitz und Wortwahn“ widmet das Bank Austria Kunstform seit Mittwoch eine Personale.

„Sein Klamauk hat Durchhaltevermögen“

Seine Bild- und Ausstellungstitel sind nicht nur Bezeichnung, sondern integraler Bestandteil der Werke: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“, thematisiert er augenzwinkernd den „schweren Rucksack der Geschichte“, den die deutschen Nachkriegskünstler geschultert haben, erklärte Kuratorin Lisa Ortner-Kreil. Frech und entlarvend, aber auch bewundernd und neudenkend arbeitete er sich ab an Kollegen und Vorgängern, an Picasso ebenso wie an Gerhard Richter. Die oberste Schicht ist stets lustig, aber darunter folgen weitere. „Sein Klamauk hat Durchhaltevermögen.“

Veranstaltungshinweis

„Martin Kippenberger“ von 8. September bis 27. November im Kunstforum Wien, Freyung 8, 1010 Wien. Geöffnet täglich 10.00 bis 19.00 Uhr, Freitag bis 21.00 Uhr.

Kunst und Klamauk ist für ihn kein Widerspruch: „Er war der Meinung, dass Kunst Spaß machen soll und darf.“ Zu diesem Zweck wählte er seine Motive aus der Kunstgeschichte, aus Comics, Stickern, betitelte in Form von Schüttelreimen („Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald“), von verschobener Phrasendrescherei („Durch die Pubertät zum Erfolg“) und von nicht ganz unernster Selbstreflexion.

„Martin, stell dich in die Ecke und schäm dich“, heißt eine dem Publikum in der Ecke abgewandte Skulptur, die genau seine Körpermaße trägt. Sie entstand nach Kritik an seiner Person als „exemplarischer Alkoholiker“ und ist nur eine von zahlreichen Selbststilisierungen, mit denen er sich als Person gleichzeitig thematisierte und entzog.

Bildtitel in Tweet-Länge

Der Hauptraum ist in gleißendes Weiß gehüllt, eine Installation von riesigen Ölbildern, auf denen das Notizbuch eines legasthenischen Buben seitenweise und in fast unentzifferbarem Weiß auf Weiß nachgemalt ist. Das Werk entstand in Graz, wohin Kippenberger enge Kontakte pflegte, etwa zu Wolfgang Bauer und dem Forum Stadtpark. Er bewunderte auch Ernst Jandl, malte in gewisser Weise seine Version der konkreten Poesie, ohne diesen Namen zu benötigen.

Schon vor seiner letzten Ehe mit der Fotografin Elfie Semotan war Kippenberger viel in Österreich, nicht zuletzt eine Plakatserie zeugt davon, die auch eindrücklich sein Arbeitstempo dokumentiert. „In seiner Arbeitsweise hat er viel vorweggenommen, was uns heute aus Internet und Social Media selbstverständlich ist“, so Ortner-Kreil. Schon seine erste Ölarbeit aus den späten 70ern, mit der er in collagierten Momentaufnahmen das Leben eines Deutschen in Florenz festhält, erinnert an eine gemalte Version eines Instagram-Accounts, seine Titel und Bildzitate kommen mit Tweet-Länge aus und es gibt Selfies, wo man hinschaut.

Fokus auf Sprache ist Novum

Die Ausstellung, die am Mittwochabend standesgemäß vom deutschen Musiker und Einstürzende Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld eröffnet wurde, entstand in Zusammenarbeit mit dem Kippenberger Nachlass sowie mit Elfie Semotan. „Obwohl er deutscher Künstler mit vielen Bezügen zu Österreich ist, stammen die Leihgaben aus aller Welt“, erklärte die Kuratorin. Am Kunstmarkt ist Kippenberger gefragter denn je - ein Selbstporträt wechselte erst kürzlich für 17 Millionen Euro den Besitzer - an den großen Häusern von MoMA bis Tate war er in den vergangenen Jahren ausgestellt. Der Fokus auf einen Einzelaspekt - hier die Sprache - ist dagegen ein Novum.

Er führt zu manchen Entdeckungen - etwa die zahlreichen geradezu dadaistischen Künstlerbücher, die Kippenberger editierte und ihre spätere Inszenierung im Aquarell, eine Parodie auf die bildungsbürgerliche Lesekultur - und zu manchen Verirrungen: Am Ende landet man in einem Dschungel aus Wegweisern. Bedeutung überall und nirgends. Auch das könnte eine Reflexion über die permanenten semantischen Verfügbarkeiten des Internets sein - 20 Jahre zu früh.

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