Möbel voller Erinnerungen im Jüdischen Museum

Möbel stecken voller Geschichten und Erinnerungen. So wie auch das „Wohnzimmer der Familie Glück“. Ab heute zeigt das Jüdische Museum Wien das Wohnzimmerensemble, das Zeuge von Flucht, Vertreibung und Deportation ist.

Als das Jüdische Museum im Mai 2014 eine E-Mail aus den Vereinigten Staaten mit dem Betreff „Vintage Austrian Furniture“ erreichte, war die Freude groß. „Diese Schenkung ist eine ganz besondere Sache für uns“, so Museumsdirektorin Danielle Spera. Der Verfasser war Henry Glück, der dem Wiener Museum die Wohnzimmereinrichtung seiner verstorbenen Eltern schenken wollte.

Die Möbel aus den 1920er Jahren sind nicht nur ein Zeugnis damaliger Wohnkultur, sondern vor allem auch Zeitzeugen von Flucht, Vertreibung, Deportation und Neuanfang. Henrys Vater Erwin hatte es geschafft sie bei seiner Flucht vor der nationalsozialistischen Herrschaft von Wien über Paris nach New York verschiffen zu lassen. Wie genau das gelang, ist unklar. Auf jeden Fall müsse es laut Spera sehr schwierig gewesen sein. Denn die meisten Besitztümer jüdischer Familien wurden arisiert.

Wien schon damals Zentrum für Zuwanderung

„Es ist das ganz klassische Schicksal einer Wiener jüdischen Familie“, betont Spera. Als sie die Möbel in New York besichtigte, habe es ihr fast den Atem verschlagen. „Diese Reise, diese Schicksale, die daran hängen, das war sehr emotional“, schildert sie.

Die Glücks waren eine Kürschnerfamilie, die Anfang des 20. Jahrhunderts von Galizien nach Wien gekommen war. Wie viele andere Juden aus Galizien, einem Gebiet das heutzutage zu Polen und der Ukraine gehört, erhofften sie sich in der österreichischen Hauptstadt ein besseres Leben. Der Aufstieg in Wien gelang den Glücks schnell. Nach einem Betrieb in den Anfangsjahren im heutigen 16. Bezirk Ottakring, hatten sie später einen Kürschnerbetrieb am Fleischmarkt im Stadtzentrum. Ein Anzeichen für wirtschaftlichen Erfolg und Assimilation.

Das Wohnzimmer als soziale Mitte

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 prägten Enteignung, Arisierung, Diskriminierung und Judenhass das Leben der Glücks und zahlreicher anderer jüdischer Familien in Wien und ganz Österreich. Auch der Kürschnerbetrieb der Glücks fiel der Enteignungspolitik der Nationalsozialisten zum Opfer.

Veranstaltungshinweis

„Das Wohnzimmer der Familie Glück“, 28. September 2016 bis 26. März 2017, Jüdisches Museum Wien/Extrazimmer, Dorotheergasse 11, 1010 Wien, täglich von 10 Uhr - 18 Uhr, samstags geschlossen

Während Erwin und Teilen seiner Familie nach etwa einem Jahr Aufenthalt in Paris die Flucht nach New York gelang, blieben Lily, Henrys Mutter, und Henry in Frankreich zurück, in der Hoffnung nach Palästina fliehen zu können. Lily wurde jedoch bei einer Razzia verhaftet, und schließlich nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet. Henry, damals acht Jahre alt, wurde wieder frei gelassen. Er wurde bis Kriegsende in Aix-en-Provence von einer Familie unter neuer Identität versteckt.

Für die Assistenzkuratorin des Jüdischen Museums Adina Seeger zeigen die Möbel verschiedene interessante Einblicke. So seien die Möbel einerseits eine zeitgeschichtliche Quelle der Wiener Wohnkultur der 1920er und 1930er Jahre, aber andererseits erzählen sie auch die Geschichte der Flucht. „Man fragt sich: Was will man mitnehmen, wenn man alles verliert. Dass es wie in diesem Fall das Wohnzimmer war, was mitgenommen wurde, deutet darauf hin, dass man den sozialen Mittelpunkt in seine neue Heimat mitnehmen wollte“, vermutet sie.

Möbel sind Spiegel der jüdischen Mittelschicht

Erwin Glück heiratete in New York ein zweites Mal, und zwar Herta Kleeblatt. Die deutsche Jüdin aus Seligenstadt in Hessen, die ebenfalls nach New York emigriert war, war eine enge Verwandte von Norman Kleeblatt, dem heutigen Chefkurator des Jewish Museum New York. Erwin starb bereits 1979. Nach Hertas Tod 2012 waren sich Norman Kleeblatt und Henry Glück einig, dass das Jüdische Museum in Wien der geeignete Platz für das Wohnzimmer ist. Beziehungen zwischen den zwei Museen existieren schon länger.

Neben dem Wohnzimmer der Glücks erhielt das Jüdische Museum Wien unter anderem auch einen Spieltisch, den Chemie-Nobelpreisträger Martin Karplus dem Museum geschenkt hat. Dessen Großvater, der Neurophysiologe Johann Paul Karplus, hat daran gespielt - etwa mit seinem Studienfreund Sigmund Freud. Die Möbelstücke zeigen Einblicke in die damalige jüdische Mittelschicht Wiens.

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