Reise in Angst und Finsternis im KHM

Der britische Töpfer und Autor Edmund de Waal hat als Kurator eine Reise in Angst und Finsternis aus den Depots des Kunsthistorischen Museums (KHM) zusammengestellt. Er bringt 55 schaurige Objekte in einen poetischen Dialog.

Es ist dunkel. In gläsernen Vitrinen lauern die Objekte. Machtvolle Dinge, schaurige, seltsame, die Jahre, vielleicht Jahrhunderte, in den Depots geschlummert haben. Mit der behutsam selektierten Ausstellung „During the Night“ erzählt der Töpfer und Autor Edmund de Waal im KHM eindringlich und poetisch von der Angst.

Halskette als „drittes Auge“ zum Schutz

Korallen und Alte Meister, Alraunen und barock verzierte Reliquien, schützender Schmuck und unheimliche Masken: Es ist kein grelles Gruselkabinett, sondern eine verwunschene Wunderkammer, die ihren Schrecken erst allmählich preisgibt, ihn tarnt hinter berauschender Schönheit und opulentem Handwerk. „Wie viel Angst muss man gehabt haben, um solche Objekte bei sich zu tragen“, fragt de Waal bei der Presseführung am Montag, und betrachtet eine Halskette, ein „drittes Auge“, das seinen Träger beschützen soll.

In der Mitte liegt ein aufgeschlagenes Buch. „Dürer war mein Kompass bei meiner Reise in die Nacht“, so de Waal. Das Aquarell „Traumgesicht“ ist Teil eines Kunstbuchs und gehört zum Inventarbestand der Kunstkammer. „Eines unserer gut gehüteten Geheimnisse“, wie Generaldirektorin Sabine Haag zugab. Ein einziges Mal war es ausgestellt, dieses Dokument einer erschütternden nächtlichen Begegnung mit dem Ende der Welt, die Albrecht Dürer auf einem kleinen Blatt zu Papier brachte, versehen mit einer Notiz über seinen Alptraum.

Dürers Alptraumnotiz als Startschuss

Für de Waal war die Begegnung mit dem unauffälligen Blatt jener magische Moment, als er verstand, was er mit dieser Einladung, aus der Sammlung des KHM eine Ausstellung zusammenzustellen, eigentlich anfangen wollte. Denn zunächst sei es für ihn „schrecklich und kompliziert“ gewesen, diese Auswahl zu treffen. Aus einem der wichtigsten Museen der Welt und dann auch noch in Wien, jener Stadt, aus der seine Familie in den 30er Jahren vertrieben und wo die Arisierung ihrer eigener Kunstsammlung vom damaligen Direktor eben dieses Museums überwacht wurde.

„Ich wusste, er hatte die Box mit dem Namen ‚Wien‘ bereits geöffnet“, berichtete Jasper Sharp, verantwortlich für das zeitgenössische Programm im Haus. Immerhin widmete de Waal der Stadt seiner Vorfahren den Großteil seines weltbekannten Buchs „Der Hase mit den Bernsteinaugen“. Sharp kannte de Waal aber schon vorher als Keramiker, war fasziniert von dessen „unendlich stiller“ Kunst.

Frei vom klassischen Museumsbetrieb kuratieren

De Waal habe die Einladung aber „mit der größtmöglichen Großzügigkeit und Offenheit angenommen“ und dann genau das getan, was sich Sharp von der „Artist’s Choice“-Reihe erwartet: frei von den Wertesystemen des klassischen Museumsbetriebs zu kuratieren, auszubrechen aus der feinsäuberlichen Ordnung der Schulen und Epochen, dafür zu sorgen, „dass sich Objekte zum ersten Mal begegnen, die seit Jahrhunderten zur selben Sammlung gehören“.

Veranstaltungshinweis:

Edmund de Waal: „During the Night“, 11. Oktober bis 29. Jänner. Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag bis 21.00 Uhr

„During the Night“ bedient sich aus sieben verschiedenen Sammlungen des Hauses sowie an denen des Schlosses Ambras und des Naturhistorischen Museums, wirft in 55 Gegenständen die Antike mit der Stammeskunst und das deutsche Porträt mit Kuriositäten aus der Schatzkammer durcheinander. Dabei tut de Waal, was er auch in seinen Büchern am besten kann: die Aufmerksamkeit auf das Ding an sich lenken, zum Einfühlen einladen, in jeden und jede, der bzw. die es davor betrachtete oder in der Hand hielt, und zu begreifen, welche Macht es besitzt, welche Gefühle es in seiner Geschichte in sich gespeichert hat.

De Waal Ausstellung

APA/Georg Hochmuth

Die Schau „During the Night“ zeigt 55 schaurige Objekte

Hase mit Bernsteinaugen als Begleiter

Nachdenklich betrachtet er selbst Lucas Cranachs „Bildnis einer Dame“, ein scheinbar konventionelles Porträt, und verweist auf den großen Schatten an der Rückwand. „Sie sitzt da und betrachtet uns. Ihr Schatten betrachtet sie“, hat er als Kommentar ausgeschildert. Aus seinem eigenen Fundus hat er zweierlei mitgebracht: eine als Reaktion auf seine Ausstellung geschaffene neue Arbeit mit dem Titel „During the Night“, die 55 Objekte - hauptsächlich seine zum Markenzeichen gewordenen schlichten Becher, aber auch Scherben und Zinnbüchsen - in einem Regal anordnet. „Meine eigene Kunstkammer“, wie er sagt.

Und: sein eigenes Schutzobjekt, das er bei seinen Reisen in die Vergangenheit seiner Familie stets beruhigend in der Westentasche wusste und das den Lesern seines ersten Buches wohlbekannt ist. „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, ein kostbares japanisches Netsuke, ist vor dem Eingang in die Ausstellung in einer Vitrine platziert, erstmals seit der Vertreibung wieder offiziell in Wien. Für Haag „eine Geste persönlicher Großzügigkeit“. Für de Waal auch ein wichtiger persönlicher Begleiter auf dem Weg in die Finsternis. „Er sitzt da draußen. Da fühle ich mich sicher“ - mehr dazu in KHM zeigt „Hase mit den Bernsteinaugen“.

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