„Menschen nicht einfach verscharren“

Der Wiener Autor und Verlagsgründer Franz Hammerbacher spricht im Interview mit wien.ORF.at über Begräbnisse ohne Trauergäste, ein neues Buch zum Thema und seine Motivation, etwas für einen respektvollen Abschied tun zu wollen.

In dem von Hammerbacher gegründeten Verlag Edition Korrespondenzen ist Mitte Oktober das Buch „Das Einsame Begräbnis“ erschienen. Darin werden Beerdigungen beschrieben, zu denen keine Trauergäste kommen.

Gleichzeitig handelt es sich beim „Einsamen Begräbnis“ um ein Projekt aus den Niederlanden, bei dem ein Autor Eckdaten zum Leben des vereinsamt Verstorbenen recherchiert. Eine Dichterin oder ein Dichter schreibt dann einen Text für den Verstorbenen, der beim Begräbnis als letzter Gruß vorgetragen wird.

wien.ORF.at: Welche Gedanken löst ein Begräbnis ohne Trauergäste bei Ihnen aus?

Hammerbacher: Jeder hat einen Abschiedsgruß verdient. Jeder verdient, dass er nicht einfach so begraben wird, ohne dass jemand Notiz davon nimmt. Ich glaube, dass es die Kehrseite der Anonymität in den Großstädten ist – die wir ja alle durchaus schätzen –, dass auch sehr viel Einsamkeit in den Großstädten herrscht und sehr viel Gleichgültigkeit. Diese Gleichgültigkeit wird sichtbar, wenn jemand begraben wird ohne Begleitung.

Der Wiener Autor und Verlagsgründer Franz Hammerbacher

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Hammerbacher: „Es geht grundsätzlich um den Respekt vor dem Leben“

wien.ORF.at: Und welche Gefühle kommen bei Ihnen auf?

Hammerbacher: Primär Entsetzen. Und auch eine gewisse Verantwortung, etwas dagegen zu tun, auch wenn es dem Verstorbenen natürlich nicht mehr hilft. Aber ich glaube, es ist einfach eine Geste der Menschlichkeit, dass man dafür sorgt, dass jeder in einer würdigen Art und Weise bestattet wird, wofür ja zum Glück auch die Stadtverwaltungen aufkommen. Aber trotzdem sollte es auch jemanden geben, der das Leben, die Existenz des Verstorbenen in einer gewissen Weise bekräftigt, indem er ein paar Worte zu dem Leben spricht.

wien.ORF.at: Genau das hat sich das Projekt „Das Einsame Begräbnis“ zum Ziel gesetzt. Wie haben Sie davon erfahren, dass es das Projekt überhaupt gibt?

Hammerbacher: Ich habe mich vor zwei Jahren intensiv mit der niederländischen und flämischen Literatur beschäftigt, aufgrund des Schwerpunkts, der heuer bei der Frankfurter Buchmesse ist, nämlich Ehrengast „Flandern & die Niederlande“, und im Zuge dieser Vorbereitungen für die Buchmesse 2016 bin ich im Herbst 2014 auf dieses Projekt von Maarten Inghels und F. Starik gestoßen. Und für mich war klar, dass das eine Idee ist, die eigentlich in alle Gegenden „exportiert“ werden müsste, wo es Großstädte gibt und diese Schattenseiten der Großstädte auch zu registrieren sind.

wien.ORF.at: Sie haben jetzt das Buch „Das Einsame Begräbnis“ angestoßen. Wollen Sie das Projekt auch nach Wien holen?

Hammerbacher: Grundsätzlich ja. Allerdings ist die Zahl der Begräbnisse, bei denen niemand außer dem Bestatter anwesend ist, in Wien so extrem hoch, dass es unmöglich ist, das Projekt wie in Amsterdam und Antwerpen durchzuführen. Zum Vergleich: In Amsterdam finden circa 15 „Einsame Begräbnisse“ pro Jahr statt. In Antwerpen sind es ungefähr 20. Die Bestattung Wien hingegen spricht von 400 bis 500 Begräbnissen ohne Trauergäste. Das ist absolut erschreckend.

Der Wiener Autor und Verlagsgründer Franz Hammerbacher

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wien.ORF.at: Wie könnte das Projekt in Wien aus Ihrer Sicht aussehen?

Hammerbacher: Das kann nur eine reduzierte Version sein. Man kann nicht 400 bis 500 Reportagen und Totengedichte pro Jahr verfassen. Es wäre auch kein Mensch in der Lage, das alles zu lesen. Ich kann mir vorstellen, dass man vielleicht ein „Einsames Begräbnis“ pro Monat begleitet, quasi als symbolischen Akt.

wien.ORF.at: Wie konkret sind da die Überlegungen? Würden Sie die Aufgabe der Koordination und der Recherche zu Daten der Verstorbenen übernehmen?

Buchhinweis:

Maarten Inghels, F. Starik: „Das Einsame Begräbnis. Geschichten und Gedichte zu vergessenen Leben“, Edition Korrespondenzen, 224 S., 19 Euro.

Hammerbacher: Ich habe selbst erst vor Kurzem von dieser extrem hohen Zahl in Wien erfahren. Das hat ein paar Überlegungen über den Haufen geworfen. Aber an sich würde ich die Rolle des Koordinators durchaus gerne übernehmen, vielleicht auch gemeinsam mit einem Mitstreiter.

wien.ORF.at: Haben Sie sich selbst einen Zeithorizont gesetzt, dass Sie sagen, bis da und dahin würde ich das Projekt gerne in Wien angegangen haben?

Hammerbacher: Das Phänomen von „Einsamen Begräbnissen“ wird uns ja leider erhalten bleiben. Die Zahl wird aller Voraussicht nach weiter steigen. Aber ich möchte das Projekt nicht auf die lange Bank schieben. Wir haben jetzt ein Buch, das beispielhaft zeigt, wie man mit solchen Fällen umgehen kann, wie man ein Bewusstsein für das Leben und Sterben von Vereinsamten schaffen kann. Ich denke, in den nächsten drei Monaten muss auch bei uns etwas in Gang kommen. Die soziale Relevanz dieses literarischen Projekts wächst ständig.

wien.ORF.at: Die Verstorbenen kann man ja nicht mehr fragen, ob es ihnen recht ist, dass bei ihrem Begräbnis ein Gedicht vorgelesen wird. Läuft man da Gefahr einer Art Zwangsbeglückung?

Hammerbacher: Man kann den Verstorbenen nicht mehr fragen, ob er irgendetwas mit Lyrik und Literatur am Hut hatte und ob ihm das überhaupt recht ist. Es geht grundsätzlich um den Respekt vor dem menschlichen Leben. Und wer soll etwas über einen vereinsamt Verstorbenen sagen, wenn nicht Menschen, die eine besondere Fähigkeit im Gebrauch von Sprache entwickelt haben und dem individuellen Leben gerecht werden können, denn darum geht es ja. Ich glaube, das Schlimmste wäre, wenn nur allgemeine Tröstungen bei so einem Begräbnis gesprochen werden, die überhaupt nicht Bezug nehmen auf den Verstorbenen. Das wären die eigentlichen Untröstlichkeiten.

wien.ORF.at: Hat das Projekt, das Sich-mit-dem-Thema-Auseinandersetzen bei Ihnen dazu geführt, dass Sie sich selbst mit Ihrem eigenen Sterben, mit Ihrem eigenen Begräbnis konfrontiert haben?

Hammerbacher: Eigentlich nicht, nein, denn diese Fälle, von denen wir jetzt sprechen, sind wirklich extreme Härtefälle. Ich glaube, dass die Betroffenheit und auch der Schock durch die einzelnen Geschichten, die in dem Buch versammelt sind, so tief gehen, dass man von seinen eigenen Befindlichkeiten doch eher einmal absieht.

wien.ORF.at: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hubert Kickinger, wien.ORF.at

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