Immer mehr „Einsame Begräbnisse“
Die Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens stehen neben dem Sarg in der Aufbahrungshalle. Eine Gedenkminute wird abgehalten, dann ein Kopfnicken zur Verabschiedung. Am Ende wird der Sarg auf den Friedhof gebracht und in das Grab hinuntergelassen: 15 bis 30 Minuten dauern Bestattungen in Wien, zu denen keine Trauergäste kommen.
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Und die Zahl dieser „Einsame Begräbnisse“ genannten Bestattungen steigt, sagt Jürgen Sild, Geschäftsführer der Bestattung Wien. „Wir bemerken, dass in den letzten Jahren ein Anstieg von Trauerfeiern feststellbar ist, bei denen keine Angehörigen teilnehmen.“
„Mehr als zehn“ solcher Begräbnisse pro Woche
Den Grund für die Zunahme sieht Sild in der Anonymität der Großstadt. „Am Land ist es im Gegensatz zur Großstadt Wien so, dass oft noch die ganze Dorfgemeinschaft bei einer Beisetzung zusammenkommt und dem Verstorbenen die letzte Ehre erweist. Da ist der soziale Zusammenhalt noch stärker als in Wien.“
Auch Martin Sindelar von der Erzdiözese Wien bestätigt den Anstieg an „Einsamen Begräbnissen“ für Wien. Neben der Anonymität der Stadt nennt er die demografische Entwicklung. „Die Menschen werden immer älter und bleiben dann, hart gesprochen, immer öfter alleine übrig“, sagt Sindelar. Er betont aber, dass bei einem katholischen Begräbnis der Ritus immer der gleiche ist, egal „ob mit oder ohne Trauergäste“.
Wie viele „Einsame Begräbnisse“ tatsächlich pro Jahr in Wien stattfinden, ist nicht bekannt. Weder die Bestattung Wien, die Stadt noch die Erzdiözese erfassen Bestattungen, bei denen keine Trauergäste anwesend sind. Sild schätzt aber, dass es in Wien „mehr als zehn solcher Begräbnisse pro Woche gibt“. Es würde pro Jahr „ungefähr 400- bis 500-mal eine Trauerfeier stattfinden, wo keine Trauergäste“ kommen.
Zahl der „Armenbegräbnisse“ steigt
Einen Hinweis auf die von Sild genannte Zahl geben die Beerdigungen auf „Anordnung der Sanitätsbehörde“ - im Volksmund auch „Sozial-“ oder „Armenbegräbnisse“ genannt. Paragraf 19 des Wiener Wiener Leichen- und Bestattungsgesetzes (WLBG) regelt, dass die Stadt eine Bestattung veranlassen muss, sofern diese nicht von Dritten binnen fünf Tagen nach Ausstellung der Todesbescheinigung eingeleitet wird.
Todesfälle in Wien
Im Jahr 2010 verzeichnete die Stadt Wien insgesamt 16.194 Todesfälle. Im Vorjahr waren es 16.437.
Im Jahr 2005 wurden in Wien 772 Bestattung nach Paragraf 19 veranlasst. Fünf Jahre später waren es bereits 867, im Vorjahr ist die Zahl auf 955 angestiegen. „Bei Bestattungen nach Paragraf 19 ist der Anteil ‚Einsamer Begräbnisse‘ höher als gewöhnlich“, sagt Michael Ambros vom zuständigen Gesundheitsdienst der Stadt. „Wie viele davon tatsächlich ’Einsame Begräbnisse" waren, wissen wir aber nicht.“
Hubert Kickinger, wien.ORF.at
Links:
- „Menschen nicht einfach verscharren“ (wien.ORF.at; 1.11.2016)
- Gräber unter Bäumen: Waldfriedhof erweitert (wien.ORF.at; 31.10.2016)
- Blühende Urne als Bestattungs-Alternative (wien.ORF.at; 30.10.2016)
- Bestattung Wien
- Erzdiözese Wien
- Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz (WLBG)
- Gesundheitsdienst der Stadt Wien (MA 15)
- Informationen - Todesfall (help.gv.at)