Autorin Ilse Aichinger ist 95

Die gebürtige Wienerin zählt zu den bedeutendsten Vertreterinnen der Nachkriegsliteratur und ist fixer Bestandteil der österreichischen Literaturgeschichte. Am Dienstag wurde Ilse Aichinger 95 Jahre alt.

Aichinger und ihre Zwillingsschwester Helga kamen am 1. November 1921 als Töchter einer jüdischen Ärztin und eines Lehrers in Wien zur Welt. Bis zur frühen Scheidung ihrer Eltern, die Aichinger deutlich prägte, verbrachte sie ihre Kindheit in Linz. Zurück in Wien lebte sie die meiste Zeit bei ihren Großeltern mütterlicherseits, wo sie mit ansehen musste, wie ihre Großmutter von den Nazis am Schwedenplatz in einem Lastwagen abtransportiert wurde.

Ilse Aichinger 95

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Aichinger 2002 mit dem „Ehrenpreis für Toleranz in Denken und Handeln“

Aichinger wollte Ärztin werden

1945 begann Ilse Aichinger Medizin zu studieren, jedoch brach sie das Studium nach wenigen Monaten ab, um an ihrem Roman „Die größere Hoffnung“ weiterzuarbeiten. „Ich wollte nie Schriftstellerin werden. Ich wollte Ärztin werden, das ist gescheitert an meiner Ungeschicklichkeit“, erzählte die Autorin 1996 in einem Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Ab 1950 arbeitete Aichinger als Lektorin für den S. Fischer Verlag, der ihre Werke veröffentlichte. Außerdem arbeitete sie als Assistentin von Inge Aicher-Scholl an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. 1951 nahm sie erstmals an der Jahrestagung der von dem deutschen Schriftsteller Hans Werner Richter organisierten „Gruppe 47“ teil, wo sie ihren späteren Ehemann Günter Eich kennenlernen sollte. Für ihre „Spiegelgeschichte“ erhielt sie 1952 den Literaturpreis der „Gruppe 47“.

Autorin Ilse Aichinger

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Die Wiener Schriftstellerin im Jahr 1991

Bescheidenheit trotz großer Erfolge

Im Jahr 1953 heiratete Aichinger Günter Eich. Aus der gemeinsamen Ehe gingen die Kinder Mirjam und Clemens hervor, die Tochter wurde Bühnenbildnerin und der Sohn Schriftsteller und Schauspieler. 1972 verstarb Günter Eich in einem Sanatorium in Salzburg. Nach dem Tod ihrer Mutter 1984 übersiedelte Ilse Aichinger nach Frankfurt, seit Ende 1988 lebt sie wieder in Wien. Nachdem ihr Sohn Clemens Eich 1998 im Alter von 43 Jahren in Wien tödlich verunglückte, zog sich die Autorin aus der Öffentlichkeit zurück.

Im Laufe ihres Lebens erhielt Aichinger zahlreiche Auszeichnungen, darunter auch der Große Österreichische Staatspreis für Literatur und der Große Kunstpreis des Landes Salzburg. Die Autorin selbst blieb aber stets selbstkritisch. In einem im Jahr 2003 erschienen Interview mit dem Magazin „profil“ sagte Aichinger: „Ich halte meine Existenz für völlig unnötig. Egal, wie sie verlaufen ist, egal, was ich an Gutem und Schlechtem erlebt habe - ich habe es schon als Kind als eine absurde Zumutung empfunden, dass man plötzlich vorhanden ist. Da müsste man zumindest gefragt werden, ob man nicht einfach wegbleiben will. Dann wäre ich weggeblieben.“

Schwerpunkt im ORF

In den Tagen vor Aichingers 95. Geburtstag widmete der ORF der Autorin gleich mehrere Sendungen in Radio und Fernsehen. Am Geburtstag schließlich ist „Die größere Hoffnung“ in der Ö1-„Hörspiel-Galerie am Feiertag“ ab 16.00 Uhr in einer Hörspielfassung von Anne Bennent zu hören, die Musik kommt von Otto Lechner und Peter Rosmanith - mehr dazu in oe1.ORF.at.