Brunnenmarkt-Verdächtiger „nie behandelt“

Der gewaltsame Tod einer 54-jährigen Frau auf dem Brunnenmarkt im vergangenen Mai wäre vielleicht zu verhindern gewesen. Zu diesem Schluss kommt ein psychiatrisches Gutachten, das jetzt kurz vor Prozessbeginn veröffentlicht wurde.

Der 21-jährige mutmaßliche Täter hat sich laut Gutachten zum Tatzeitpunkt „in einem medizinisch unbehandelten, akut psychotischen Zustand mit Aufhebung der Realitätskontrolle sowie Aufhebung der Selbststeuerungsfähigkeit“ befunden. Der psychiatrische Sachverständige Karl Dantendorfer sieht daher keine Schuldfähigkeit gegeben. Der 21-Jährige konnte aufgrund seiner Zurechnungsunfähigkeit nicht wegen Mordes zur Anklage gebracht werden.

Weil Dantendorfer ihn als hochgradig gefährlich betrachtet und der 21-Jährige weiter keine Krankheitseinsicht zeigt, soll dieser stattdessen - zeitlich unbefristet - im Maßnahmenvollzug behandelt werden. Ein Schwurgericht hat nun den entsprechenden Antrag auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu behandeln. Der Prozess beginnt am kommenden Montag - mehr dazu in Brunnenmarkt-Mord: Prozesstermin fix.

Spurensicherung nach Mord am Brunnenmarkt

APA/Herbert P. Oczeret

Tatortgruppe am Brunnenmarkt

Bluttat hätte vielleicht verhindert werden können

Das Gutachten erhärtet außerdem die Verdachtslage, dass die Behörden versagt haben könnten, weil sie den 21-Jährigen nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen haben. Für Dantendorfer ist es aus medizinischer Sicht „als gesichert anzusehen“, dass der Kenianer schon seit mehreren Jahren an einer schweren paranoiden Schizophrenie leidet, die nie behandelt wurde.

Bevor er mit der Eisenstange auf die 54-Jährige am Brunnenmarkt losging und diese erschlug, hatte er zwei andere Frauen auf dieselbe, wenn auch zum Glück für die Opfer nicht lebensbedrohliche Art und Weise attackiert. Soweit dem Sachverständigen aufgrund der Aktenlage bekannt, erfolgte hinsichtlich dieser beiden Vorfälle keine amtsärztliche oder psychiatrische Untersuchung", ist Dantendorfers schriftlichem Gutachten zu entnehmen.

Somit blieb der offensichtlich kranke 21-Jährige auf freiem Fuß und hielt sich überwiegend am Brunnenmarkt auf. Laut Polizei wurde er mehr als ein Dutzend Mal angezeigt. Aus Sicht der Justiz war der Obdachlose ohne Meldeadresse nicht greifbar - mehr dazu in „SoKo Brunnenmarkt“: Kritik an Behörden und in Brunnenmarkt: Staatsanwalt entgegnet Vorwürfe. Um ein allfälliges Behördenversagen festzustellen, hatte Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) eine Sonderkommission eingesetzt. Diese soll bis zum Jahreswechsel einen Abschlussbericht vorlegen.

Trauer am Brunnenmarkt

Caritas Wien

Trauer um das Mordopfer am Tatort

Angehörige sehen Mitschuld der Behörden

Um eventuelle Versäumnisse der Behörden geht es auch den Angehörigen der Getöteten. Sie haben sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen. „Wäre er (der Verdächtige, Anm.) zu einem Amtsarzt oder einem Sachverständigen gebracht worden, hätte das jeder Experte innerhalb von zwei Minuten erkannt, dass der Mann eine Bedrohung für seine Umwelt darstellt“, sagte Mathias Burger, der Rechtsvertreter des Witwers und der Tochter. Das wäre „aus Bequemlichkeit“ unterblieben - mehr dazu in Mord auf Brunnenmarkt: Witwer klagt.

Für diese behördlichen Unterlassungen, die die 54-Jährige aus Sicht ihrer Familie mit dem Leben bezahlt hat, verlangen ihre Angehörigen eine Wiedergutmachung. „Was die geforderte Entschädigung betrifft, sind Gespräche mit den Hinterbliebenen im Gange“, teilte der Präsident der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, am Freitag mit.

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