NGO „neunerhaus“ kritisiert Wohnpolitik

Der Verein „neunerhaus“ hilft seit Jahren Obdachlosen. Geschäftsführer Markus Reiter ortet eine Verschärfung der Lage, Schuld daran sei auch die Wohnpolitik der Stadt. Deshalb will die Organisation nun selbst Wohnraum schaffen.

Anders als die Notschlafstellen will „neunerhaus“ Menschen dauerhaft zurück in ein Leben mit vier eigenen Wänden verhelfen. Aktuelle Betreuungszahlen für 2016 liegen noch nicht vor. „Was ich aber sagen kann: Es ist mehr geworden“, so Reiter. Das bedeutet auch, dass das Spektrum der Betroffenen breiter ist. „Nur mehr elf Prozent der Obdachlosen kommen direkt von der Straße.“

Ein Großteil sei von Delogierungen betroffen, auch Leute in Beschäftigung oder Selbstständige würden wegen Finanzierungsproblemen oder Lebenskrisen ihre Wohnung verlieren - mehr dazu in Immer mehr junge Menschen obdachlos.

Susanne Peter, Martin Gantner, Obdachlose

ORF

Immer mehr Menschen verlieren ihre Wohnungen

Kritik an „Verschärfungen“ der Stadt

Reiter beklagt, dass die Unterbringung von Menschen in prekären Verhältnissen am Wohnungsmarkt zuletzt schwerer geworden ist. Eine Ursache liege in den „Verschärfungen“ der Stadt, was den geförderten Wohnbau bzw. den Gemeindebau anbelangt. Der Geschäftsführer verweist auf eine Änderung der Zugangsregelungen vor zwei Jahren.

Denn nun müssten Menschen, die von Organisationen wie dem „neunerhaus“ für die sogenannte soziale Wohnungsvergabe empfohlen werden, zwei Jahre so gut wie durchgehend in Wien gemeldet sein - anders als davor. „Jetzt gelten hier die selben Regeln, die für alle Wiener gelten, die in gesicherten Wohnverhältnissen sind und die ein, zwei, drei Jahre warten, bis sie eine Gemeindewohnung kriegen. Die Zeit haben unsere Leute aber leider nicht“, kritisiert Reiter.

Zugang zu geförderten Wohnungen für Härtefälle

Er fordert daher, wieder „Zugang“ zum geförderten Wohnbau zu erhalten. Soll heißen: 25 Prozent aller rein von der Stadt jährlich vergebenen geförderten Wohnungen sollen für Härtefälle reserviert sein - laut Reiters Berechnungen also rund 1.500. Denn durch die jetzige Situation würden mehr Menschen länger in Übergangsquartieren warten.

Somit könne das „neunerhaus“ mit seinen 550 Plätzen insgesamt weniger Leute betreuen: „In unserem Haus in der Billrothstraße gibt es beispielsweise 44 Plätze. Bis jetzt haben wir dort 70 bis 80 Menschen pro Jahr weitervermittelt. Das wird jetzt auf rund 50 Personen sinken.“ Das wiederum verstärke den Zustrom zu den Notquartieren, was aber weder nachhaltig noch billiger sei. Vorstellbar wären für Reiter etwa auch eine Art Dringlichkeitspunkte bei der Vergabe von Sozialwohnungen.

Neunerhaus

ORF

Das „neunerhaus“ betreut wohnungslose Menschen

Wohnraum für Obdachlose statt Leerstand

Um gewissermaßen aus eigener Kraft günstigen Wohnraum aufzutreiben - „hier geht es um 300 bis 350 Euro pro Wohnung“ -, hat das „neunerhaus“ mit Anfang des Jahres eine eigene Tochter-Gesellschaft gegründet. So will man an Eigentümer und Bauträger zwecks Kooperationen herantreten. Reiter nennt ein Beispiel: "Ein Immobilienunternehmer hat ein Zinshaus gekauft, will es in den nächsten Jahren entwickeln, hat bis dahin aber Interesse an einer befristeten Entwicklung des Leerstands.

Dann übernimmt die „neuner immo" das, kümmert sich, dass die richtigen Leute einziehen und stellt einen fixen Ansprechpartner für den Vermieter zur Verfügung.“ Oder: Bei Neubauprojekten gebe es oft bestimmte Teile des Hauses, die nicht leicht hochpreisig zu verwerten seien. „Da könnten wir uns gemeinsam eine Nutzung überlegen“, führt der Chef aus. Denkbar sei auch, Hotels oder Pensionen, die geschlossen werden müssen, in „Sozialherbergen“ umzuwandeln.

Geplant ist, mit den ersten derart akquirierten Wohnungen im März zu starten. „Unser Ziel ist, in den ersten zwei bis drei Jahren an 200 Wohnungen zu kommen“, hofft Reiter.

Insgesamt drei Wohnhäuser

Insgesamt betreibt die Organisation drei Wohnhäuser für unterschiedliche Zielgruppen - von Übergangslösung bis zur langfristigen Unterkunft. Darüber hinaus gibt es rund 100 „Housing First“-Wohnungen, die von Beginn an Betroffene in „normale“ Mietverhältnisse bringen sollen. In beiden Fällen kommen die Betreuten im Sinne der Selbstständigkeit, Würde und Eigenverantwortung selbst für die Miete auf.

Links: