Brauerei-Chef tauschte Job mit Kondomfabrikant

Beim Berliner Kondomhersteller Einhorn haben die Mitarbeiter weitestgehend „Narrenfreiheit“. Die Ottakringer Brauerei ist eher ein „klassisches Unternehmen“. Eine Woche lang vollzogen die Chefs der Firmen nun einen Perspektivenwechsel.

Bei Einhorn, einem Berliner Startup, das auf vegane Design-Kondome spezialisiert ist, gibt es keine fixen Arbeitszeiten. Die Mitarbeiter arbeiten wann und wo sie wollen. Sie bestimmen auch selbst, wie viel sie bezahlt bekommen und sind in die Entscheidungen der Firma eingebunden. Das Dokumentieren des Alltags auf Snapchat, Facebook und anderen Social-Media-Seiten gehört wie selbstverständlich auch zum Konzept von Einhorn.

„Die Idee, dass es interessant wäre, mit jemandem eine Woche lang den Chefsessel zu tauschen, ist dann in einer Bierlaune entstanden“, erklärt Philip Siefer, der mit seinem Freund Waldemar Zeiler das Berliner Startup gegründet hat.

Die Chefs von Einhorn und Ottakringer

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Matthias Ortner (links) und Philip Siefer bei der Schlüsselübergabe

Von der „Bierlaune“ zum Tausch

Zunächst gestaltete sich die Suche nach einem Tauschpartner schwierig, bis die beiden durch einen Zufall auf Matthias Ortner, den Geschäftsführer der Ottakringer Brauerei, stießen. „Ich wollte wissen wie das funktioniert und ob Teile von ihrer Unternehmenskultur vielleicht auch bei uns in Wien denkbar wären“, so Ortner über seine Motive für den Chef-Tausch.

Dabei sind die beiden Firmen auf den ersten Blick recht unterschiedlich und nur schwer miteinander zu vergleichen. Die Wiener Brauerei ist mit 150 Mitarbeitern ungefähr zehn Mal so groß wie die Kondomfirma in Berlin, die 17 „Einhörner“ beschäftigt. Beim Umsatz gehen die Zahlen noch weiter auseinander: 77 Millionen stehen lediglich einer Million gegenüber.

Tausch trotz Unterschiede spannend

„Wir sehen, dass etablierte Unternehmen sich für Startups interessieren, um zu erfahren, wie das Management dort Funktioniert. Bei der Problemlösung wird oft mehr improvisiert“, erklärt Rudolf Dömötör vom WU Gründerzentrum, warum der Firmenvergleich für den Ottakringer-Chef trotzdem interessant sein kann.

Auch Siefers Interesse kann Dömötör nachvollziehen. „Startups profitieren durch Zusammenarbeit mit den etablierten wiederum oft von bestehenden Vertriebskanälen. Auch von den solideren Kommunikationsstrukturen können sie lernen“.

Zuerst die Arbeit, dann die „Sex-Party“

In Berlin habe er sich erst einmal angeschaut, in welchen Bereichen er etwas zur Kondomfirma beitragen könne, so Ortner. Als erstes kümmerte er sich um die Präsentation der Einhornprodukte in den Berliner DM-Filialen. „Die Welt von Einhorn, wie man sie von Social Media wahrnimmt ist vollkommen unterschiedlich von der Wahrnehmung im Regal“, meint Ortner.

In weiterer Folge wurden Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Hotellerie und Gastronomie geprüft und zahlreiche andere Projekte initiiert. Ortner nahm in der Woche aber auch an „klassischen“ Einhorn-Chef-Aktivitäten teil, wie zum Beispiel einer Kondom-Verteilaktion. Am Donnerstag wurde dann bis in die Morgenstunden in einem Berliner Club gefeiert.

„Sie haben gesagt, wir gehen auf eine Sex-Party. Das hat es dann auch ungefähr getroffen“, fügt Ortner lachend hinzu. Wann er nach Hause gegangen sei, wisse er nicht mehr genau. „Ich war dann erst am Nachmittag wieder im Büro. Aber genaue Arbeitszeiten gibt es ja ohnehin nicht“.

Ortner bei Kondomverteilaktion

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Ortner als „blaues Einhorn“ bei einer Kondom-Verteilaktion

Abbau der Hierarchie

Wie viel sich die Brauerei von der Unternehmenskultur der Berliner wirklich abschauen kann, ist noch fraglich. „Wir sind bei Ottakringer schon stark in Hierarchieebenen gegliedert, die für bestimmte Entscheidungen notwendig sind“, so Ortner. Ohnehin habe er die scheinbare Hierarchielosigkeit nicht ganz so wahrgenommen. „Sie haben eine sehr breite Kultur. Man merkt aber dann doch, dass bestimmte Leute eher involviert werden, wenn es um wirkliche Entscheidungen geht“.

Einige der Sachen, die Ortner in der Woche erlebt hat, seien aber sehr wohl – zumindest in abgeschwächter Form - in der Brauerei denkbar. Zum Beispiel, dass Mitarbeiter die etwas zu Projekten beitragen können, an denen sie vielleicht nicht offiziell beteiligt sind, auch ermuntert werden, dies zu tun. „Wir wollen weg vom klassischen ‚bist du in einem Projekt dabei, darfst du was sagen, bist du nicht dabei, hast du nichts damit zu tun‘“, so Ortner.

Ortner im Einhorn Kostüm

Ottakringer Brauerei

Dieses Bild erwartete Ortner nach seiner Rückkehr in seinem Büro

Freiere Arbeitszeiten

Auch wie es möglich sein könnte, die Arbeitszeiten für die Mitarbeiter freier zu gestalten, ist für den Ottakringer-Chef eine genauere Betrachtung wert.

„Wir haben es schon ganz gut bei Schwangerschaft und Karenz umgesetzt uns anzupassen und zu schauen, was wir als Arbeitgeber bieten können. Ich glaube aber es gibt noch viel mehr Bedürfnisse. Vielleicht hat einer nach 25 Jahren einmal Lust weniger zu arbeiten, vielleicht will man mit jemandem tauschen“, so Ortner. Da mehr hinzuschauen und ein Programm daraus zu machen sei jedenfalls ein Ziel.

Bier-Eis und „Einhornpisse“

Einhorn-Chef Siefer durfte sich seinerseits eine Woche lang als Chef in Ottakring austoben. Manches wurde bereits am ersten Tag umgesetzt. „Wir haben nur eine Stunde gebraucht um zu erreichen, dass man Ottakringer bei Amazon in Berlin bestellen kann. Es wird dann auch innerhalb einer Stunde geliefert“.

Neuer Geschäftsführer Philip Siefer Ottakringer

Ottakringer Brauerei

Hier wurde das Bild des neuen Geschäftsführers Siefer kurzerhand mit Klebestreifen eingefügt

Andere Projekte, die Siefer in der Woche mit den Mitarbeitern der Brauerei angestoßen hat, befinden sich hingegen noch in den Kinderschuhen. Das sind zum Beispiel neue Nutzungsmöglichkeiten für die Räumlichkeiten der Brauerei, verschiedene Designs für die Flaschen und Dosen, ein alkoholfreies Radler-Eis oder eine von Ottakringer produzierte Limonade mit dem klingenden Namen „Einhornpisse“, an der sich angeblich DM bereits interessiert zeigte.

„Dass man Ottakringer in Berlin geliefert bekommt freut mich sehr. Ich habe das auch gleich ausprobiert“, sagt Ortner zu den Ideen Siefers. Welche der anderen Ideen jetzt tatsächlich umgesetzt werden, sei aber noch nicht gewiss. „Bei einem Produkt, das von uns kommen soll und ‚Pisse‘ heißt, ist die Chance nicht ganz so groß“, erklärt Ortner humorvoll. Die Designvorschläge und das Bier-Eis seien aber durchaus denkbar.

Gruppenbild Siefer Ottakringer

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Einhorn-Chef Siefer posiert mit „seinen“ Mitarbeitern für ein Gruppenbild

“Große Mengen“ Freibier verschickt

Für Siefer war die Erfahrung in Wien jedenfalls eine gute: „Ich habe noch nie so ein großes Unternehmen geleitet. Das alleine war schon interessant“. Die Zusammenarbeit sei hervorragend gewesen.

„Wenn ich in meinem Unternehmen etwas sage, kann es passieren, dass jemand aufsteht und sagt, dass das ein Blödsinn ist“, erklärt Siefer die Unterschiede zwischen den Betrieben. In ein klassisches Top-Down-Unternehmen wünscht sich der Berliner jedoch dennoch nicht zurück.

Ein weiterer Unterschied sei, dass die Brauerei über viel mehr Geld als seine Kondomfirma verfüge. Ungenutzt wollte Siefer die Ressourcen der Brauerei scheinbar nicht lassen: „Ich bin gerade noch dabei größere Mengen Bier an Kollegen und befreundete Startups in Berlin zu versenden. Ich hoffe Matthias nimmt mir das nicht übel“.

Juan Marhl, wien.ORF.at

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