Wien Museum wühlte im Falter-Fotoarchiv

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte. Der Wahrheitsgehalt dieser Floskel lässt sich im Wien Museum überprüfen. Rund 500 Fotos aus dem Archiv des „Falter“ erzählen eine Art alternativer Stadtgeschichte der vergangenen 40 Jahre.

Die Bilder spannen im Haus am Karlsplatz den Bogen von unkonventionellen Porträts über Subkultur bis zu (medialen) Randgruppen. „Es geziemt sich einfach, DER Stadtzeitung Wiens ein Denkmal zu setzen“, erklärte Matti Bunzl im Zuge einer Presseführung: „Ich hoffe, der Falter ist vom Ergebnis nicht allzu beleidigt“, adressierte er an den anwesenden Herausgeber und langjährigen Chefredakteur Armin Thurnher, was dieser freilich verneinte.

Aktivistische Fotografie zu Beginn

„Es lebe der Widerpruch!“, ist der Titel der Schau im Erdgeschoß. Er bezieht sich auf den Schlusssatz des Editorials der allerersten „Falter“-Ausgabe vom Mai 1977 und verweist zugleich auf den politischen und sozialen Hintergrund des Blattes.

Die Zeitschrift entsprang einer linken Bürgerbewegung rund um die Arena-Besetzung, es ging um Gegenöffentlichkeit, Selbstbestimmung, Aufbruch. „Die aktivistische Fotografie war am Anfang sehr präsent. Aktivisten fotografierten Aktivisten“, fasste Werner Michael Schwarz, neben Susanne Winkler Kurator des begehbaren Bildbands, zusammen.

Hausbesetzungen, Proteste für Frieden, Frauenrechte oder Liegerecht im Burggarten und die dazugehörigen Konflikte mit der Obrigkeit, häufig der Polizei, dominieren die Fotostrecken der ersten Jahre. Später verlagerte sich der Fokus zunehmend auf die polemisch-satirische Fotografie, deren Ergebnisse zuweilen wie politische Analysen daherkommen.

Haider-Fotoverbot kein Thema

Kurt Waldheim wirkt bei seiner Angelobung als Bundespräsident geradezu dämonisch, der männliche Führungszirkel der SPÖ müde. Eines der schönsten Beispiele: Von ÖVP-Urgestein Andreas Khol ist nur die Stirn im unteren Bildausschnitt zu sehen, über ihm thront im oberen Drittel eine Marienstatue.

Veranstaltungshinweis:

„Es lebe der Widerspruch! Fotos aus dem Falter-Archiv“ im Wien Museum am Karlsplatz, bis 27. August; Zur Ausstellung ist ein Begleitbuch im Falter-Verlag erschienen, 208 Seiten, 34,90 Euro

Fotos von Jörg Haider gab es mit dem zunehmenden Höhenflug des damaligen FPÖ-Chefs im „Falter“ übrigens nicht. Thurnher verhängte ein zeitweiliges redaktionsinternes Bildverbot. Der Hintergedanke: Auch pejorative Aufnahmen würden dem Populisten in Form von zusätzlicher Aufmerksamkeit letztendlich zugute kommen. Eine journalistische Intervention, die die Schau im Übrigen so gut wie gar nicht thematisiert.

Keine Chronologie

Mit den Jahren hielt nicht nur die Farbe, sondern auch die Themenvielfalt Einzug in die „Falter“-Ablichtungen. Szene-Lokale a la Flex - die Ur-Dependance in Meidling -, das Cafe Stein oder das Titanic zeugen vom erwachenden Stadtleben und der dort nistenden Subkultur. Obdachlose, Gefängnisinsassen und Flüchtlinge geben gesellschaftliche Randgruppen öffentliche Aufmerksamkeit. Lifestyle macht sich mit den Jahren ebenfalls breit im „Falter“-Kosmos.

Falter

Christian Fischer

Falter-Kolumnist Phettberg als Jesus

Schwarz erzählte von der Sichtung von rund 200.000 Fotos - etwa 30.000 davon noch in analoger Form -, von denen es schließlich um die 500 Arbeiten von 30 Fotografen in die Ausstellung schafften. Gehängt sind sie nicht chronologisch, sondern typologisch. „Wir wollten uns an dem orientieren, was man sieht“, so die Erklärung des Kurators. Man lässt also die Bilder für sich sprechen. Erklärungstexte oder genretheoretische Einordnungen gibt es nicht.

Wandel zur „konstruktiven“ Fotografie

Nur in der Mitte des Raums sind pflückbare Kurzdossiers angebracht, die Einführungen zu jenen Themen bieten, von denen die Bilder erzählen - etwa zur Waldheim-Debatte, der schwarz-blauen Wende, der Öko-Bewegung oder dem Bio-Trend. Wer mehr Hintergrundprosa möchte, ist mit dem Begleitbuch gut bedient, das neben vielen Abzügen auch Texte zur Bildästhetik, Interviews mit Fotografen, Neudrucke alter Artikel und eine Historie des „Falter“ selbst versammelt.

Und wie lässt sich die gegenwärtige Fotografie des „Falter“, inzwischen längst professionalisierter Player in der heimischen Medienwelt, beschreiben? Die Kuratoren nennen sie „konstruktiv“. Auf Polemik und Zuspitzung werde großteils verzichtet - nicht zuletzt als Gegenprogramm zur Fotohäme im Social-Media-Bereich. Insofern ist man dem Gründungsmotto „Es lebe der Widerspruch“ eh ein bisschen treu geblieben.

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