Soko Brunnenmarkt kritisiert Info-Mängel

„Es wurde das Richtige unterlassen.“ Das ist das Resümee der Soko Brunnenmarkt nach dem Mord an einer Frau im Mai 2016. Betont wird die schlechte Vernetzung der Behörden. Für die Tat verantwortlich ist ein schwer kranker 22-Jähriger.

„Es wurde nicht das Falsche getan, sondern das Richtige unterlassen“, bilanzierte Soko-Vorsitzender Helfried Haas jetzt im Justizpalast. Justizminister Wolfgang Brandstetter ließ die Soko kurz nach dem Mord einrichten, um zu klären, ob und warum die Behörden im Fall des schon früher amtsbekannten 22-jährigen Einwanderers versagt haben - mehr dazu in Brunnenmarkt: Brandstetter „von Zorn gepackt“.

„Viele Institutionen wussten ein bisschen etwas, keiner hatte den Überblick“, fasste Haas die evidenten Defizite bei der behördlichen Vernetzung zusammen, die dem Ergreifen bzw. Koordinieren nötiger Maßnahmen im Weg standen. So wurde etwa das Ergebnis einer psychologischen Untersuchung des Kenianers aus Datenschutzgründen nicht einmal der Chefärztin der Generaldirektion für den Strafvollzug bekannt.

Trauer am Brunnenmarkt

Caritas Wien

Trauer um Opfer am Brunnenmarkt

Anwalt hält laxen Umgang nicht für Einzelfall

Die zentrale Frage vor allem für die Angehörigen des Opfers ist, ob der Mord nicht hätte verhindert werden können. „Es ist erschreckend zu erfahren, wie schlecht die Behörden vernetzt sind“, reagierten die Rechtsanwälte Mathias Burger und Alfred Boran, die den Witwer vertreten, auf den Soko-Abschlussbericht. Dass Polizeidienststellen in der Regel gar nicht Kenntnis von Ermittlungen anderer Dienststellen erlangen, „ist in einem modernen Rechtsstaat wie Österreich nicht nachvollziehbar“, so Burger.

Burger geht davon aus, dass der laxe behördliche Umgang mit dem paranoid schizophrenen Kenianer kein Einzelfall ist: „Es ist zu befürchten, dass es in diesem Bereich noch viele schlafende Hunde gibt. Man kann nur hoffen, dass die nicht wieder mit einer Gewalttat geweckt werden.“

Informationen nicht weitergegeben

Der Kenianer kam 2008 nach Österreich. 2011 wurde er nach dem Suchtmittelgesetz verurteilt. Obwohl obdachlos, ohne Kontakt zu Familie und Behörden sowie geringen Deutschkenntnissen blieb er ohne Bewährungshelfer. Darin sieht die Soko einen ersten Fehler. 2011 saß der Mann erstmals in U-Haft, ein erster Verdacht auf eine wahnhafte Störung tauchte auf. Doch weder Gericht noch Staatsanwaltschaft wurden informiert.

Dafür wurde der Jugendgerichtshilfe die Diagnose bekannt, die diese Information aber nicht dem Gericht meldete. Sie gab sie nur dem Kinder- und Jugendhilfeträger weiter, als der noch minderjährige Kenianer ohne Wohnadresse aus der Haft entlassen wurde. Im Herbst 2013 wurde der Kenianer ein zweites Mal verurteilt, ohne dass ihm ein Bewährungshelfer beigegeben wurde - obwohl explizit darauf hingewiesen wurde, dass der Mann „sehr Verwirrendes“ von sich gibt.

Angeklagter vor Gericht

APA/Roland Schlager

Auffälliges Verhalten ohne Konsequenzen

Obwohl eine psychotische Störung offensichtlich war, wurde er wieder in die Obdachlosigkeit entlassen. Einem Amtsarzt fiel der Zustand des Mannes bei einer Untersuchung nicht auf. Im Befund war keine Rede von einer psychischen Erkrankung. Nur sechs Wochen vor dem Mord fiel der Mann Polizisten auf, als er sich mit heruntergelassenen Hosen und mit Axt und Hammer bewaffnet vor ihnen versteckte. Gegen ihn wurde nicht nach dem Unterbringungs-Gesetz, sondern nach dem Fremdenpolizeigesetz vorgegangen.

2015 hatte sich die Situation zugespitzt, nachdem der Mann zwei Frauen mit Eisenstangen leicht verletzt hatte. Obwohl bei Gericht nach Ladendiebstählen eine weitere Hauptverhandlung anhängig war, war der Mann für die Justiz mangels einer Meldeadresse nicht mehr greifbar. Der Verschwundene wurde zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Dass er keineswegs untergetaucht war, sondern am Brunnenmarkt regelmäßig als Störenfried in Erscheinung trat und der Polizei bekannt war, sprach sich nicht bis zur Justiz durch.

Die Empfehlungen der Soko

In ihrem Bericht formulierte die Soko eine Reihe von Maßnahmen und Erkenntnissen, um vergleichbare Fälle künftig möglichst zu verhindern. So empfiehlt sie gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in prekären Lebenssituationen, das Instrument der Bewährungshilfe zu gebrauchen. Vermeintliche gesetzliche Verschwiegenheitspflichten dürften nicht dazu führen, dass den Justizbehörden relevante diagnostische Informationen vorenthalten werden.

Es müsse „klare legistische Regelungen“ geben, „damit Behörden in Zukunft beim Austauschen von Informationen nicht an einer Verletzung des Amtsgeheimnisses oder Berufsgeheimnisses vorbeischrammen“, hieß es. Zudem sollen Polizeiamtsärzte ab kommendem Oktober im Erkennen psychischer Auffälligkeiten geschult werden. Fallkonferenzen von Justiz und Polizei befinden sich demnach im Versuchsstadium, die Sensibilität bei den Justiz- und Polizeiorganen soll sich - schenkt man dem Abschlussbericht der Soko Glauben - mittlerweile erhöht haben.

Sarg bei Begräbnis des Mordopfers vom Brunnenmarkt

APA/Herbert Pfarrhofer

54-Jährige mit Eisenstange erschlagen

Der psychisch kranke, vorbestrafte und von der Justiz zur Aufenthalts-Ermittlung ausgeschriebene Mann hat im Mai 2016 eine 54-jährige Frau auf dem Weg zu ihrer Arbeit mit einer elfeineinhalb Kilogramm schweren Eisenstange erschlagen - mehr dazu in Frau mit Eisenstange erschlagen: Motiv unklar.

Der mutmaßliche Täter war einem psychiatrischen Gutachten zufolge aufgrund einer paranoiden Schizophrenie zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig und damit nicht schuldfähig. Deswegen wurde er nicht wegen Mordes angeklagt. Weil ein Sachverständiger den Mann infolge seiner Erkrankung nach wie vor als hochgradig gefährlich betrachtet, hatte die Staatsanwaltschaft die Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt - mehr dazu in Bluttat auf Brunnenmarkt: Täter eingewiesen.