Hochgatterer: „Wir alle wünschen uns Helden“

Der Wiener Autor Paulus Hochgatterer hat vor kurzem sein neues Buch „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ veröffentlicht. Wien.ORF.at hat mit ihm über den Wunsch nach Unsterblichkeit, Ohrfeigen in der U-Bahn und seine Helden gesprochen.

Das neue Buch von Paulus Hochgatterer, der auch Primar der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tulln ist, heißt „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“. Die Geschichte spielt zu Ende des Zweiten Weltkriegs auf einem Bauernhof in Niederösterreich. Die Erzählerin, ein ungefähr 13 Jahre altes Mädchen mit „Kriegsschaden“, trifft dort auf einen jungen Russen. Als dann Soldaten der Wehrmacht kommen, braucht es Helden.

Der Wiener Autor Paulus Hochgatterer

ORF/Hubert Kickinger

„Trump regt mich auf, aber das ist wahrscheinlich nicht besonders originell“

wien.ORF.at: Wann hat es Ihnen zuletzt die Sprache verschlagen?

Paulus Hochgatterer: (lacht) Pause. Jetzt gerade, weil ich diese Frage nicht erwartet habe. Mir verschlägt es ständig die Sprache, weil ich ja nicht so ein Vielredner bin. Deswegen schreibe ich vielleicht auch, weil ich lieber schreibe als zu reden. Die Sprache verschlagen ...

wien.ORF.at: Anders gefragt, was regt Paulus Hochgatterer auf?

Hochgatterer: Mich regen Ungerechtigkeiten auf. Wenn Kindern schlimme Dinge angetan werden, das regt mich ungeheuer auf. Wenn Kinder oder Erwachsene immer noch meinen, dass Kinder zu klein oder zu blöd seien, um die Welt zu verstehen, das regt mich auf. Manchmal regt mich auch noch das Thema Schule auf. Aber das liegt auch daran, dass ich ein Lehrerkind bin, und dieses Thema mein Leben lang mit mir herumtrage. Und sonst regen mich halt die Dinge auf, die andere Leute auch aufregen. Donald Trump regt mich auf, aber das ist wahrscheinlich nicht besonders originell.

wien.ORF.at: Sie haben gesagt, dass Sie immer auch etwas über die Menschen lernen, wenn Sie Geschichten schreiben. Was haben Sie beim aktuellen Buch gelernt?

Hochgatterer: Die Geschichte hat ganz zentral mit mehreren Dingen zu tun, unter anderem mit meinem Gefühl und meiner Erkenntnis, dass wir uns alle immer wieder Helden wünschen oder Helden herbei erzählen. Oder Helden, wenn sie uns in unserem Leben begegnen, sehr, sehr gerne festhalten.

wien.ORF.at: Wer ist aus Ihrer Sicht heute ein Held?

Hochgatterer: Held und heute scheint nicht zusammenzupassen. Ich glaube trotzdem, dass es in unserer Zeit genauso Helden gibt wie früher. Am ehesten sind Helden Menschen, die gegen den Zeitgeist, gegen Mehrheitsmeinungen und Suggestionen, bei den Dingen bleiben können, die sie für gut und richtig halten.

wien.ORF.at: Wollen Sie Namen nennen?

Hochgatterer: Das ist einerseits schwierig, weil man sich sofort in die Nesseln setzt und Leute vergisst, die es verdient hätten. Andererseits fällt mir eine Heldin sofort ein. Hier in Wien liegt sie sozusagen auf der Hand. Ute Bock. Ich hab das Privileg gehabt, sie in ihren frühen Zeiten kennenzulernen, als sie im Lehrlingsheim in der Zohmanngasse jungen Burschen, die im Leben aus der Bahn geflogen waren, einen sicheren Ort zur Verfügung gestellt hat. Ohne bürokratisches oder pädagogisches Herumgetue, einfach so.

wien.ORF.at: Jetzt haben Sie vorhin gesagt, dass wir uns immer wieder alle Helden wünschen. Aber birgt dieser Wunsch, auch im Hinblick auf die Vergangenheit, nicht etwas Gefährliches in sich?

Hochgatterer: Der Wunsch nach Helden birgt nur dann etwas Gefährliches in sich, wenn man nur den Wunsch nach Helden in sich trägt. Das heißt, wenn es da kein Korrektiv gibt, das die Realität im Blick behält. Es geht in Wahrheit im Leben doch immer um den unerfüllbaren Wunsch nach Unsterblichkeit und nach Abschaffung des Bösen. Damit hat auch der Wunsch nach Helden zu tun. Ab und zu diesen Wunsch zu haben halte ich für psychohygienisch höchst sinnvoll.

wien.ORF.at: Und wie sieht es mit Ihrem eigenen Wunsch nach Unsterblichkeit aus?

Hochgatterer: Ja, ständig hab ich den (lacht). Nein, wenn man das Leben liebt, ist der Gedanke, dass man sich mit jedem Tag zwangsläufig seinem Ende nähert, irgendwie nicht so prickelnd. Mit anderen Worten: Dass die Unsterblichkeit bis heute nicht eingeführt werden konnte, ist schon ein Riesenskandal.

wien.ORF.at: „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ spielt zu Ende des Zweiten Weltkriegs. Ist bei Ihnen zu Hause über den Krieg gesprochen worden? Die Rolle der Großväter?

Hochgatterer: Ja, meine Eltern haben über die Väter erzählt. Eine Geschichte, die einer der Ausgangspunkte dieser Erzählung war, ist die Geschichte meines Großvaters mütterlicherseits, der ein Mostviertler Bauer war, der aufgrund seines Alters und der Situation in der Landwirtschaft das Glück hatte, nicht eingezogen zu werden.

Veranstaltungshinweis

Paulaus Hochgatterer liest heute um 20.30 Uhr bei den O-Tönen im Museumsquartier. Davor stellt Jakob Pretterhofer sein Debüt „Tagwache“ vor.

Er kam in die Situation, dass er in den letzten Kriegstagen mit einer kleinen Einheit der deutschen Wehrmacht konfrontiert war, vor allem mit einem Wehrmachtsoffizier, der bis zum Schluss ganz vehement, fast wahnhaft an der Idee des Nationalsozialismus festgehalten hat und dort auf dem Hof einen jungen sogenannten Ostarbeiter, einen russischen Kriegsgefangenen, aus irgendeinem nichtigen Grund standrechtlich erschießen wollte. Mein Großvater, so die Erzählung meiner Mutter, hat sich dem Offizier in den Weg gestellt und hat (auf Mostviertlerisch) gesagt: „Schamans Ihnen net?,“ also „Schämen Sie sich nicht?“ In der Erzählung meiner Mutter hat dieser Offizier dann von seinem Vorhaben Abstand genommen.

Der Wiener Autor Paulus Hochgatterer

ORF/Hubert Kickinger

„Frauen kennen immer alle Geheimnisse ihrer Ehemänner“

wien.ORF.at: Haben Sie Rituale beim Schreiben?

Hochgatterer: Rituale würde ich nicht sagen, aber Routinen, einen Schreibprozess, der sich bewährt hat. Der ist immer ganz ähnlich: Ich skizziere handschriftlich mit Bleistift, d. h. Handlungsbögen darstellen, Figuren charakterisieren, Kapitel skizzieren. Wenn das Gerüst steht, dann gibt es irgendwann den ersten Satz. Der wird in mein Notebook geschrieben und ab dann verlagert sich der Prozess vom Papier ins elektronische Medium.

wien.ORF.at: Der berühmte erste Satz. Wie wichtig ist der Ihrer Meinung nach oder wie lange arbeiten Sie daran?

Hochgatterer: Der erste Satz ist für mich zentral wichtig. Bevor der erste Satz nicht so dasteht, dass ich weiß, der bleibt so, geht es nicht weiter.

wien.ORF.at: Sie haben in einem Interview gesagt, dass Ihnen all Ihre Hauptfiguren bisher sympathisch waren ...

Hochgatterer: Ich habe gesagt, dass ich mir nicht vorstellen könnte, eine Figur zur Hauptfigur zu machen, die mir unsympathisch ist. Ich tue mir einfach leichter, wenn mich eine Figur positiv berührt.

wien.ORF.at: Was muss die haben?

Hochgatterer: Sie braucht einen Sinn für die Wirklichkeit, eine gewisse Verletzlichkeit und sie muss ein Geheimnis haben.

wien.ORF.at: Wieso ist das Geheimnis wichtig?

Hochgatterer: Weil wir alle ein Geheimnis haben. Manchmal kennen wir es, manchmal nicht.

wien.ORF.at: Kennen Sie Ihres?

Hochgatterer: Ich kenne ein paar meiner Geheimnisse, verrate sie aber nicht (lacht).

Wien.ORF.at: Kennt Ihre Frau alle Ihre Geheimnisse?

Hochgatterer: Frauen kennen immer alle Geheimnisse ihrer Ehemänner.

wien.ORF.at: Kennen Sie alle Geheimnisse Ihrer Frau?

Hochgatterer: Nicht annähernd.

wien.ORF.at: Sind Sie total fokussiert, wenn Sie schreiben oder gibt es da auch Ablenkungen?

Hochgatterer: Das ist ja das Leiden des Schriftstellers, dass er ständig damit beschäftigt ist, sich davon abzulenken, was er eigentlich tun sollte. Mit Fernsehen, mit Kaffeetrinken und mit Alkohol, sodass man einen benebelten Kopf hat. Ständig macht man Blödsinn, obwohl man weiß, dass man eigentlich schreiben sollte. Das ist ein Problem. Aber was jetzt zum Beispiel dieses Buch betrifft, wundere ich mich, wie gut es mir gelungen ist, mich in der Zeit, in der es wichtig war, zu fokussieren.

wien.ORF.at: Wie lange nehmen Sie sich Zeit, um zu schreiben?

Hochgatterer: Mit der vorhin genannten Skizzenphase hat die Arbeit an diesem Buch etwa eineinhalb Jahre gedauert. Aber das war ein fraktionierter Prozess, das ist also nicht ganz eindeutig zu sagen.

Paulus Hochgatterer-Buch: Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war

ORF

Buchhinweis

Paulus Hochgatterer: „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“, Deuticke, 112 S., 18,50 Euro.

wien.ORF.at: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie schreiben können?

Hochgatterer: Da trügt mich natürlich möglicherweise meine Erinnerung oder ich erzähle mir selbst romantisch etwas herbei, aber ich habe das Gefühl, dass die Lust oder die spezifische Form der Zufriedenheit in der Konfrontation mit dem eigenen Text schon ganz früh da war. In der Volksschule eine Seite vor mir zu haben, die ich selbst geschrieben hatte und das super zu finden, das gab es schon. Ich hab dann irgendwann einmal in den Sommerferien, Ende Volksschul-, Anfang Gymnasialzeit, begonnen, Geschichten zu schreiben. Weil es einfach so sein musste. Und die habe ich gemocht. Das war wahrscheinlich der eigentliche Ursprung meines Schreibens.

wien.ORF.at: Sie haben eingangs gesagt, dass es Sie wütend macht, wenn Kindern Ungerechtigkeit angetan wird. Jetzt sehen Sie ja in Ihrer Arbeit in Tulln sehr viele Kinder, denen Ungerechtigkeit angetan wurde. Erlebt man da nicht ein gewisses Ohnmachtsgefühl?

Hochgatterer: Ständig, jeden Tag. Das Wichtige ist, dass man nicht kapituliert. Man ist nie nur ohnmächtig. Eine eh oft strapazierte Situation: Ich werde in der U-Bahn mit einem Vater oder einer Mutter konfrontiert, die ihrem Kind eine Ohrfeige runterhaut. Das Gefühl, ich bin da jetzt ohnmächtig und kann da nicht intervenieren, stellt sich in der Konfrontation ein. Die Frage ist: Kapituliere ich oder tue ich trotzdem etwas?

wien.ORF.at: Haben Sie in solchen „U-Bahn-Situationen“ schon interveniert?

Hochgatterer: Das hab ich schon und es endet immer unerfreulich.

wien.ORF.at: Was sagen Sie dann?

Hochgatterer: Ich sage das, was andere auch sagen: „Bitte hören Sie auf Ihr Kind zu misshandeln.“ So in die Richtung. Aber da tut man sich wahrscheinlich leichter damit, wenn man das auch zum Beruf gemacht hat und Routine hat in der Konfrontation mit emotional angespannten Eltern.

wien.ORF.at: Von den Erwachsenen zu den Jugendlichen. Es hat im vorigen Jahr dieses Gewaltvideo gegeben, in dem Jugendliche eine Gleichaltrige vor laufender Handykamera erniedrigt und geschlagen haben, dass sie dann einen doppelten Kieferbruch hatte.

Hochgatterer: Wir haben ständig mit Kindern zu tun, in die Gewalt hineingetan wurde. Kinder brechen ja nicht aus dem nichts heraus, oder weil es in ihren Genen zwingend so angelegt ist, anderen Jugendlichen den Kiefer. Das kommt irgendwie in sie hinein. Und dieser Prozess hat ursächlich in erster Linie mit Erwachsenen zu tun, noch konkreter: mit der Gewalt, die Erwachsene ausüben. Das ist mir wichtig zu sagen.

Das andere, was immer ein wenig unpopulär ist zu sagen, ist, dass unsere Welt in den letzten Jahren und Jahrzehnten – und das ist in Wahrheit ein Verdienst der Generation unserer Eltern -, dass unsere Welt viel friedlicher geworden ist. Und die Gewalt, auch die Gewalt unter Jugendlichen, hat abgenommen. Das heißt jetzt nicht, dass es nicht noch viel zu tun gibt. Aber die Maßnahmen, die verhindern, dass Erwachsene Gewalt in Kinder hineintun, die gibt es seit den 1970er, 80er Jahren und sie haben gegriffen. Es wird weniger gedemütigt, weniger verletzt und geprügelt in der Kindererziehung als noch vor 30, 40 Jahren, und das ist doch etwas sehr Erfreuliches.

wien.ORF.at: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hubert Kickinger, wien.ORF.at