Familiäre Gewalt: Kritik an „Kleinreden“

Nach tödlichen Gewalttaten innerhalb von Familien in Wien und Vorarlberg fordert die Wiener Gewalt-Interventionsstelle eine bessere Prävention. Gewalt im privaten Bereich werde oft kleingeredet, kritisiert Leiterin Rosa Logar.

„Jede schwere Tat, jeder Mord muss genau analysiert werden, damit wir daraus lernen können“, sagte Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, im APA-Inteview. Gegen jenen 38-Jährigen, der in Vorarlberg seine Frau und seine Töchter getötet haben soll, ist beispielsweise bereits davor ein Betretungsverbot ausgesprochen worden. Und schon im August war er wegen eines gewalttätigen Vorfalls kontaktiert worden und hatte auch an einer Täterberatung teilgenommen - mehr dazu in 38-Jähriger tötet Frau und beide Kinder.

Rosa Logar, die Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie

ORF

Rosa Logar: „Jeder Mord muss genau analysiert werden“

Arbeit mit Tätern „völlig überschätzt“

„Täterarbeit wirkt langfristig, das dauert Monate“, gab Logar zu bedenken, „Es ist außerdem eine Illusion zu glauben, dass in der Täterberatung der Schlüssel liegt. Sie wird völlig überschätzt, vor allem bei Gewalt in der Familie.“ Auch die mittlerweile in der Strafprozessordnung verankerte Täteransprache hält Logar für wenig sinnvoll. Diese Maßnahme könne die Institutionen sogar zu falschen Einschätzungen führen, gab sie zu bedenken.

„Niemand wird bei der Polizei angeben, aggressiv oder gewalttätig zu sein, die Täter zeigen sich vielmehr kooperativ, was dann als gutes Zeichen gewertet wird im Sinne von ‚Er hat versprochen, es nicht mehr zu tun‘“. Bei Gewalt müsse man aber immer an den Worst Case denken, auch wenn dieser nicht eintritt, warnte Logar. „Alle beteiligten Institutionen müssen dann abklopfen: Könnte das so sein oder so passieren?“

„Wäre bei Terrorismusbekämpfung undenkbar“

Auf die tatsächlichen Gefährlichkeitsfaktoren werde hingegen zu wenig geachtet, kritisierte Logar: „Der größte Voraussagefaktor ist es, wenn jemand schon vorher Gewalt ausgeübt hat. Man weiß es zwar, aber man nimmt es nicht ernst. Man reagiert nicht. Das hat damit zu tun, dass die Gewalttaten im Privatbereich stattfinden, da wird minimalisiert.“

Es handle sich dabei um ein kollektives Phänomen, das mit Geschlechtsbildern zu tun hat, meinte Logar. „Eigentlich legt die Gesellschaft auf Sicherheit sehr großen Wert, nur eben im privaten Bereich nicht. Im öffentlichen Raum oder bei Terrorismusbekämpfung wäre ein solches Kleinreden undenkbar.“ Bei häuslicher Gewalt handle es sich aber praktisch „um Terrorismusbekämpfung innerhalb der Familie.“

Logar fordert mehr Informationsaustausch

Für eine zukünftig bessere Prävention wünscht Logar eine verstärkte und effizientere Zusammenarbeit der Institutionen. Es gehe keineswegs darum, „wahllos Daten auszutauschen, sondern ganz gezielt Informationen“, stellte sie klar. „Vieles fällt zum Beispiel einer Einrichtung auf und der anderen nicht. Da weiß oft die eine Stelle nicht, welche Informationen eine andere hat.“

Einschränkungen für Mädchen „Alarmzeichen“

Der Umgang mit sogenannten Ehrenmorden gehöre ebenfalls „zum Know How“ der Interventionsstelle, erklärte Logar. In Zusammenhang mit der Bluttat von Montag in Wien wurde darüber spekuliert, dass es sich um einen solchen gehandelt haben könnte. „Wir versuchen hier, sehr sensibel zu sein und schauen: Gibt es extreme Vorstellungen, etwa zu Eifersucht oder Ehre? Solche extremen Vorstellungen sind problematisch und führen oft zu Gewalt“, meinte Logar.

Einschränkungen für Mädchen seien beispielsweise ein „Alarmzeichen“. Patriarchale und traditionelle Strukturen seien grundsätzlich gewaltanfällig - unabhängig von der Kultur. „Da muss man die Vorurteile beiseite lassen“. Eine Beschuldigungskultur bringe nichts.

Auch 18-Jähriger amtsbekannt

Eingeschränkt hatte sich in der Familie auch jene 14-jährige Afghanin gefühlt, die am Montag in Wien-Favoriten erstochen worden ist. Das Mädchen war eine Woche davor in ein Krisenzentrum des Jugendamts gezogen - mehr dazu in Erstochene 14-Jährige wohnte in Krisenzentrum.

Ihr 18-jähriger Bruder hatte die Tat gestanden. Im Zuge eines längeren Gesprächs mit seiner Verteidigerin Astrid Wagner hatte er am Mittwoch erneut erklärt, die Tat sei nicht geplant gewesen. Er habe „eine irrsinnige Wut bekommen“, weil seine Schwester ihn im Streit weggestoßen hatte. Da habe er zu einem Messer gegriffen und zugestochen: „Er weiß nicht, wie oft.“ Ersthelfer hatten von rund 13 Messerstichen gesprochen.

Die Waffe hätte der 18-Jährige zum Selbstschutz bei sich getragen, nachdem er wiederholt in Auseinandersetzungen mit jungen Tschetschenen verwickelt wurde, sagte Wagner. Der junge Mann ist in strafrechtlicher Hinsicht kein unbeschriebenes Blatt. Gegen ihn läuft ein Verfahren, unter anderem wegen gefährlicher Drohung gegen einen Zugsbegleiter - mehr dazu in Schwester erstochen: 18-Jähriger amtsbekannt.

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