Obdachlosen-Tour verhilft zu eigener Wohnung

Seit zwei Jahren erzählen obdachlose Menschen in den „Shades Tours“ vom Alltag auf der Straße. Für die Mitarbeiter ist diese Anstellung der erste Schritt zurück in die Arbeitswelt, einige von ihnen finden auch wieder eine eigene Wohnung.

„Drei unserer Guides haben es innerhalb von sechs Monaten, nachdem sie bei uns angefangen haben zu arbeiten, aus der Obdachlosigkeit in ein privates Wohnverhältnis geschafft“, sagt Perrine Schober, Gründerin der „Shades Tours“.

Einer von ihnen ist Dieter. Nach 28 Jahren im Bundesheer wechselte er in eine Sicherheitsfirma und wurde dort Marketingleiter. Als er diese Anstellung kündigte, fand er keine neue. „Ich habe dann bei verschiedenen Freunden übernachtet, bis es tatsächlich nicht mehr weiterging“, sagt Dieter. Vor zwei Jahren lernte er Schober in einer Kochgruppe in der Gruft kennen und wurde einer der ersten Tourguides.

Shades Tours

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Seit zwei Jahren ist Dieter Tourguide bei „Shades Tours“

Touren durch Gruft, Wiener Tafel und VinziPort

In den mehrstündigen Touren durch Wien erklärt Dieter seitdem Institutionen wie die Gruft, die Wiener Tafel oder VinziPort und erzählt dabei, wie der Alltag als obdachloser Mensch aussieht. Pro Woche finden zwischen drei und vier Touren statt, Hauptzielgruppe sind dabei Schulklassen. Häufig hält Dieter auch Präsentationen in den Schulen.

Die Tourismusmanagerin Schober gründet das Unternehmen vor zwei Jahren, um eine „Bildungslücke“ zu schließen: „Eine obdachlose Person wird oft mit dem Sandlerbild assoziiert“, sagt sie. „Es werden jetzt sehr viele Menschen obdachlos, die niemals damit gerechnet hätten, die aus der Mittelschicht kommen und diesem Sandlerbild einfach nicht mehr entsprechen.“

Vor allem der Umgang mit obdachlosen Menschen sei für viele auch heute noch schwer. „Ich glaube, jeder von uns ist schon einmal an einer obdachlosen Person vorbeigegangen und hat dann dieses kleine Schmerzgefühl im Herzen gehabt und sich gefragt: habe ich da jetzt richtig reagiert und was hätte ich tun können“, sagt sie. „Wir wissen nicht, was wir machen sollen oder machen können, weil uns das nie jemand erklärt hat.“

Touren sollen Klischees abbauen

Auch Dieter möchte auf seinen Touren Klischees entgegenwirken. Denn mit zwei Studienabschlüssen war er früher überzeugt: Obdachlosigkeit trifft mich nicht. „Ich versuche, Vorurteile abzubauen und den Teilnehmern zu veranschaulichen, dass es wirklich jeden treffen kann. Da muss man nicht diese klassischen Rollenbilder erfüllen, dass man eben trinkt, Drogenprobleme hat oder unzuverlässig ist“, sagt er.

Shades Tours

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Hauptzielgruppe der Touren und Präsentationen sind Schulklassen

Das Projekt ist aber auch eine Möglichkeit, obdachlose Menschen wieder in den Alltag zu integrieren, sagt Gründerin Schober. Die Tourguides sind bei dem Unternehmen geringfügig angestellt, die Organisatoren unterstützen die Guides bei der Wohnungssuche. Dieter lebt mittlerweile seit mehr als einem Jahr in seiner eigenen Wohnung.

Wunsch nach Arbeit und eigener Wohnung

„Ich bin nach dieser Zeit der Obdachlosigkeit schon sehr bescheiden und bodenständig geworden“, sagt er. Nach einem Schlaganfall in diesem Sommer durch den er zwei Monate arbeitsunfähig wurde, habe er gemerkt, wie wichtig ihm die Arbeit mittlerweile ist.

Bei den „Shades Tours“ möchte er deshalb auch in Zukunft Touren führen und über die Situation aufklären. „Mein Wunsch ist es, weiter in der Lage zu sein, meine Wohnung zu erhalten und arbeitsfähig zu sein“, so Dieter. „Vielleicht habe ich dann auch einmal wieder eine Partnerin an meiner Seite.“

Melanie Gerges, wien.ORF.at

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