Versuchter „Ehrenmord“: Acht Jahre Haft

Ein 20-Jähriger ist am Mittwoch am Straflandesgericht wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Er wollte einen ehemaligen Schulfreund niederstechen, um die „Familienehre“ wieder herzustellen.

Zusätzlich wird der Angeklagte in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Die Geschworenen stimmten nach eineinhalbstündiger Beratung mit 7:1 Stimmen für die Anklage. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft gaben keine Erklärung ab. Mildernd wurden der Beitrag zur Wahrheitsfindung, die schwere psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie die Tatsache, dass es beim Versuch geblieben ist, gewertet. Erschwerend war die Heimtücke der Tat. Dem Opfer wurden 50.000 Euro Schadenersatz zugesprochen.

Gerücht über Verhältnis der Schwester

Der Angeklagte mit türkischen Wurzeln ging davon aus, dass der 19-jährige Freund eine Beziehung mit seiner Schwester pflegte. Bei der Messerattacke erwischte er jedoch den jüngeren Bruder. Der 15-Jährige erlitt bei der Attacke im Oktober 2016 lebensgefährliche Verletzungen. Ein Stich erwischte die Bauchspeicheldrüse, ein weiterer drang in die Brusthöhle ein. Nur eine Notoperation rettete dem Burschen das Leben - mehr dazu in 15-Jähriger in Liesing niedergestochen.

Der 20-jährige Angeklagte war seit seiner Kindheit mit dem 19-Jährigen, dem der Angriff eigentlich hätte gelten sollen, befreundet. „Wir waren fast jeden Tag unterwegs“, sagte der Bursche. 2016 begann sich der nun Beschuldigte zu verändern. „Er ist dann immer komischer geworden. Er spinnt“, sagte der 19-Jährige, weshalb sich die meisten Freunde auch von ihm abgewandt hätten. Von der Schule flog der 20-Jährige auch, weil er grundlos Mitschülern die Schere an den Hals gehalten hatte. Als er „bedrohliche Stimmen“ hörte, ging der 20-Jährige zum Arzt, der ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostizierte.

Medikamente abgesetzt

Die Medikamente, die ihm verschrieben wurden, setzte er jedoch bald wieder ab, da er stark an Gewicht zunahm und davon so müde wurde, dass ihm die Arbeit als Pizzabäcker schwerfiel. In dieser Zeit hörte er das Gerücht, dass seine Schwester mit dem 19-jährigen Freund ein sexuelles Verhältnis hatte.

„Ich hab mich hintergangen gefühlt“, sagte der 20-Jährige Richterin Beate Matschnig. „Hinter meinem Rücken darf man das nicht.“ Er hatte den 19-Jährigen auch zur Rede gestellt, dieser verneinte allerdings, eine Beziehung mit der 17-Jährigen zu haben. Die Burschen umarmten sich nach dem Gespräch, dennoch ließ das dem 20-Jährigen keine Ruhe.

Angeklagter wollte „Abreibung“ verpassen

Am 21. Oktober 2016 wachte er gegen 2.00 Uhr auf und dachte mit Wut und Zorn wieder an das Verhältnis seiner Schwester mit dem Freund. „Ich wollte ihm eine Abreibung verpassen“, meinte der 20-Jährige. Er wollte dem 19-Jährigen eine Stichverletzung am Bein zufügen und danach flüchten.

Nachdem er große Mengen an Whiskey getrunken hatte, machte er sich mit einem Springmesser, das er einst gemeinsam mit dem Freund gekauft hatte, auf den Weg zur Wohnung des 19-Jährigen in Liesing. Dort legte er sich auf die Lauer. Plötzlich sah er eine Person aus dem Haus kommen, die dem verhassten Freund ähnlich sah.

Mit einem Schal über den Mund und Kapuze auf dem Kopf schlich er sich heran und stach dem Burschen nicht ins Bein, sondern gleich in die linke Flanke zwischen die Rippen. Er nahm sein Opfer in den Schwitzkasten, danach habe er ein „Blackout“ gehabt und stach immer wieder zu, sagte der Angeklagte leise.

Täter erst nach einem Jahr ausgeforscht

Als der Attackierte laut um Hilfe schrie, erkannte der 20-Jährige, dass es sich nicht um seinen Freund, sondern um dessen 15-jährigen Bruder handelte, und flüchtete. Sieben Stichverletzungen erlitt der Jugendliche, der sich lebensgefährlich verletzt zurück in die Wohnung schleppte, wo seine Eltern die Rettung verständigten.

Eine mehrstündige Notoperation rettete dem 15-Jährigen das Leben. Sein großer Bruder machte sich vor Gericht Vorwürfe. Da er sich noch einmal umgezogen hatte, verließ der Jüngere früher das Haus. „Er hat mich um zwei Minuten verpasst“, sagte der 19-Jährige.

Ein Jahr lang lebte die Familie in Angst, da der Täter nicht gefunden werden konnte. Nie verließ ein Familienmitglied alleine das Haus. „Wir haben uns alle gegenseitig nach Hause begleitet“, berichtete das mittlerweile 16-jährige Opfer unter Tränen. Auf die Spur des Täters kamen die Ermittler im September 2017.

Bis zu 15 Jahre Haft

Der entscheidende Hinweis, der zur Festnahme des 20-Jährigen führte, stammte aus dessen eigener Familie. Die Schwester des 20-Jährigen flüchtete zum Jugendamt, da sie sich vor seinem aggressivem Verhalten fürchtete. Dabei erwähnte das Mädchen, dass dieser schon einmal „jemand töten wollte“, führte der Staatsanwalt aus - mehr dazu in Wiener ein Jahr nach Mordversuch ausgeforscht.

„Großer Fehler“

Der beigezogene Gerichtspsychiater Peter Hofmann hielt ihn für derart gefährlich, dass er sich in seinem Gutachten für die Unterbringung im Maßnahmenvollzug aussprach. „Die Maßnahme sehe ich als Chance, um sich langfristig zu stabilisieren“, sagte Hofmann. Der Expertise zufolge leidet der Angeklagte unter der paranoiden Schizophrenie, war aber nie richtig in Behandlung. Seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit soll aufgrund dessen zum Zeitpunkt der Tat herabgesetzt, Zurechnungsfähigkeit dessen ungeachtet aber gegeben gewesen sein.

Nur einen Tag vor der Tat bat der 20-Jährige in einer psychiatrischen Einrichtung in Wien um Hilfe. Dort wurden ihm neue Medikamente verabreicht, da er von Halluzinationen berichtete und sich einbildete, seine Freundin würde ihn betrügen. Drei Tage nach der Tat suchte er das Ambulatorium erneut auf. Da beschrieben ihn die Ärzte als betrübt und depressiv. Er sprach von einem „großen Fehler“, der nicht bereinigt werden konnte.

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