„Sittenwächter“ unter Terrorverdacht

Der als „Sittenwächter“ von Kaltenleutgeben wegen Nötigung verurteilte Russe steht auch unter Terrorverdacht. Er soll den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt gekannt haben, hieß es nach dem Prozess am Straflandesgericht.

Gegen den Mann aus Dagestan ist bei der Staatsanwaltschaft Wien auch ein Terrorverfahren anhängig. Das bestätigte sein Verteidiger Wolfgang Blaschitz am Freitagnachmittag. Der 24-Jährige soll Anis Amri, den Attentäter auf den Berliner Weihnachtsmarkt, gekannt haben. Der Vorwurf, sein Mandant habe „etwas mit Terrorismus am Hut, sei an den Haaren herbeigezogen“, sagte der Anwalt. Von Amris terroristischen Plänen habe er nichts gewusst, davon gehe mittlerweile auch der Verfassungsschutz aus, so Blaschitz.

Anschlag auf Weihnachtsmarkt

Der Tunesier Anis Amri lenkte am 19. Dezember 2016 einen Sattelzug in eine Besuchermenge eines Weihnachtsmarkts neben der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Zwölf Menschen starben.

Ehe der Russe nach Österreich kam, lebte er mehrere Jahre in Deutschland und lernte dort auch Amri kennen. Er wurde dort in zwei Verfahren wegen schweren Raubes und schwerer Körperverletzung verurteilt. Bei der Auswertung des Handys des Russen wurde ein Video gefunden, das zumindest auf eine radikalislamistische Gesinnung hindeuten könnte. Der 24-Jährige ist darauf beim Absingen von islamisch-religiösen Liedern zu sehen, mit denen zum Dschihad gegen Ungläubige aufgerufen wird.

Prozess gegen "Sittenwächter" von Kaltenleutgeben

APA/Herbert Pfarrhofer

„Sittenwächter“ vor Gericht

Oben ohne am Badesee als Tatmotiv

Der Russe stand am Freitag allerdings wegen mehrerer anderer Causen vor Gericht. Er war im Sommer des Vorjahres als „Sittenwächter“ von Kaltenleutgeben bekannt geworden. Der 24-Jährige wollte mit zwei Tschetschenen und einem Afghanen im Glitzersee baden und traf auf ein Paar. Laut Anklage verlangte er, dass sich die oben ohne sonnende Frau ein T-Shirt anziehe. Darauf sei es zu einem Disput mit dem männlichen Begleiter gekommen.

„Ich habe angefangen, umgangssprachlich zu schimpfen. (...) Es war nicht ernst gemeint“, räumte der Angeklagte bei seiner Aussage ein. „Sie hatte bloß eine Unterhose an, die nur hinten einen Faden hatte. Verstehen Sie, was ich meine?“, schilderte der Angeklagte der Richterin. „Einen Tanga“, erwiderte diese. Er habe eigentlich nicht hinsehen wollen, sei aber nicht in der Lage gewesen, sich abzuwenden: „Ich bin ein Mann, ich bin schwach.“

„Das Verhalten, das er zur Schau gestellt hat, war sicher kein rhetorisches Ruhmesblatt“, meinte Anwalt Wolfgang Blaschitz über den Angeklagten. Von einer bedrohlichen Situation könne aber keine Rede sein. Wie Blaschitz betonte, sei das Oben-ohne-Baden in Österreich zwar nicht verboten, werde aber „nur mehr an Kärntner Seen und in einigen Wiener Freibädern praktiziert“. Sein Mandant war Ende November festgenommen worden - mehr dazu in Festnahme nach angedrohter Vergewaltigung (noe.ORF.at).

Nötigung und versuchte Körperverletzung

Die Anklage lautete auf Nötigung und versuchte Körperverletzung. Aus Sicht der Anklagebehörde drohte der Tschetschene mit einer Vergewaltigung, sollte sich die Frau nicht bedecken. „Der Sachverhalt habe den Tatbestand erfüllt. Für eine halb nackte Frau, die da herumliegt, war das sicher eine bedrohliche Situation“, befand das Gericht und verurteilte den Angeklagten zu fünf Monaten unbedingter Haft.

Einen Freispruch aus Mangel an Beweisen gab es in einem anderen Anklagepunkt. Der Russe habe den fotorafierenden Begleiter der Frau mit einen Tritt über eine 2,5 Meter hohe Böschung befördern wollen. Der Mann konnte allerdings ausweichen. Den drei Begleitern des Angeklagten konnte kein strafbares Verhalten nachgewiesen werden. Die Verfahren gegen sie wurden eingestellt.

„... sonst lebst du morgen nicht mehr“

Ein weiterer Anklagepunkt gegen den Russen bezog sich auf einen Vorfall im November 2017. Ein Ladendetektiv soll eine junge Muslima beschimpft und angegriffen haben. Vier Tage später soll der Angeklagte versucht haben, einen Zeugen des Vorfalls dazu zu bringen, ihm den Namen des Ladendetektivs zu nennen. Inkriminiert ist die Äußerung „Komm Bruder, gib uns den Namen. Sag uns, wer das war, sonst lebst du morgen nicht mehr.“ Der solcherart Bedrohte ließ sich allerdings nicht einschüchtern. Er erteilte keine Auskunft.

In der Verhandlung zeigte sich jedoch, dass der arabischstämmige Verkäufer kaum Deutsch versteht und daher nicht auszuschließen war, dass er den Mann, der ihn auf Deutsch angesprochen hatte, nicht korrekt wiedergegeben hatte. Auch in diesem Anklagepunkt wurde der Mann freigesprochen.