JMW: Scheinehen als Lebensrettung

„Verliebt. Verlobt. Verheiratet“ - das Jüdische Museum Wien hat den Kinderreim für seine neue Ausstellung uminterpretiert: „Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Scheinehen ins Exil“ widmet sich einem Thema, das lange unerforscht geblieben ist.

Stellvertretend für die vermutlich Hunderten Jüdinnen, die sich für eine Scheinehe entschieden, um den Nationalsozialisten zu entgehen, werden 13 Frauen porträtiert. „Scheinehen waren mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine Überlebensstrategie für jüdische Frauen in Österreich“, sagte Direktorin Danielle Spera bei einer Presseführung anlässlich der Eröffnung.

„Der Zweck war, eine Ausreisemöglichkeit in ein anderes Land zu bekommen.“ Ab März 1938 nahm die Zahl der Eheschließungen in der jüdischen Gemeinde in Wien stark zu, berichtete Irene Messinger, die die Schau gemeinsam mit Sabine Bergler kuratiert hat. Durch die Heirat erhielten die Frauen die Staatsbürgerschaft ihres Ehemannes.

Bekannte und unbekannte Frauen im Fokus

Die Motive der Männer, die eine Scheinehe eingingen, waren Bezahlung, familiärer Zusammenhalt - einige Frauen heirateten ihre Cousins -, oder es waren Männer, die ihre Homosexualität verbergen mussten. „In manchen Fällen gab es auch Scheinehen, die aus Solidarität und Hilfsbereitschaft gemacht wurden“, sagte Spera. Einige Männer erklärten sich auch aus politischen Gründen, als Akt des Widerstands, zur Ehe bereit.

Da das Thema Scheinehe oft tabuisiert wurde und viele Frauen nicht darüber sprachen, blieb es lange Zeit unerforscht. Die Idee zur Ausstellung stammt von Messinger, die ihre Dissertation über das Thema schrieb. Sie stieß im Rahmen ihrer Recherchen auf 100 Fälle, die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher sein.

Unter den porträtierten Frauen finden sich bekannte wie die Theaterleiterin Stella Kadmon und die Violinistin Alma Rose sowie Frauen, deren Geschichte erst jetzt durch wissenschaftliche Recherchen und Aufzeichnungen aus der Familie bekannt wurde.

„Manche Männer nutzten die Situation aus“

„Es waren durchwegs mutige Frauen, denn Scheinehen waren mit Risiken verbunden“, sagte Spera. „Manche Männer nutzten die Situation aus“, erzählte Messinger. „Es wurde von sexuellen Übergriffen, sexueller Gewalt und von Erpressungen berichtet.“

Die Ausstellung, die sich über die drei Räume des Museums am Judenplatz erstreckt, widmet sich 13 Frauenschicksalen. An den Wänden sind jeweils ein großes Foto der Frau, ihre wechselnden Namen und ihre Fluchtrouten abgebildet. Ein kurzer Text widmet sich den drei Lebensphasen, der Zeit in Wien vor der Ehe, der Zeit während der Scheinehe und der Phase danach.

Auch persönliche Gegenstände der Frauen wie eine Schreibmaschine oder Kleidungsstücke sowie Scheinehedokumente sind ausgestellt. Von manchen Frauen existieren Videoaufnahmen, in denen sie über ihre Scheinehe sprechen. Die Lebensgeschichten der Frauen nahmen unterschiedliche Ausgänge: Kadmon konnte sich etwa nach Palästina retten, Rose wurde nach Auschwitz deportiert, wo sie 1944 starb.

Kuratorin sieht Parallelen zur Gegenwart

Auch wenn sich die Ausstellung auf die Zeit während des Nationalsozialismus konzentriert, könne man durchaus Parallelen zur Gegenwart ziehen, sagte Messinger. „Seit den 1990er Jahren gibt es in Europa eine verstärkt restriktive Flüchtlingspolitik, daher hat das Phänomen der Scheinehe wieder an Bedeutung gewonnen.“ Mit der Verschärfung des Fremdengesetzes 2006, die die Scheinehe unter Strafe stellte, sei die Zahl aber wieder zurückgegangen. Die Ausstellung wird bis 7. Oktober im Museum am Judenplatz gezeigt.

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