Experte: Erdogan-Ergebnis „keine Überraschung“

Türkeistämmige haben in Wien noch in der Nacht die Wahl von Recep Tayyip Erdogan zum türkischen Präsidenten gefeiert. In Österreich stimmten 72,3 Prozent für ihn. „Keine Überraschung“, sagte Integrationsexperte Kenan Güngör.

In Österreich gab es knapp 106.657 registrierte Wähler mit türkischen Wurzeln für die Wahl des türkischen Präsidenten und Parlaments, viele davon in Wien. 51.597 sind auch tatsächlich zur Wahl gegangen. Das Ergebnis war eindeutiger als in der Türkei, bei der Präsidentschaftswahl erhielt AKP-Spitzenkandidat Recep Tayyip Erdogan in Österreich 72,3 Prozent. Seine Partei AKP kam laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu auf 62,5 Prozent. Wesentlich mehr als in der Türkei - mehr dazu in news.ORF.at

Türkei Wahl Erdogan

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In Wien wurde der Wahlsieg Erdogans gefeiert

Türkeistämmige vor allem aus Zentralanatolien

„Die Ergebnisse überraschen mich nicht“, sagte Kenan Güngör, Soziologe und Experte für Integration. Die Ergebnisse seien auch schon bei den letzten Wahlen ähnlich ausgefallen. Eine Ursache sei, dass ein Großteil der in Wien lebenden Türkeistämmigen aus Orten in Zentralanatolien stammt, „wo die Bevölkerung sehr stark konservativ und auch nationalistisch ist. Da überrascht es nicht, dass die Menschen aus dem Kernland der AKP auch hier die AKP wählen.“

Einen Wandel der Stimmung wird es wohl nicht so bald geben. Das liegt vor allem daran, wie Erdogan seinen Wahlkampf geführt hat, meinte Güngör. „Die ganzen türkischen Medien, die in den türkeistämmigen Haushalten gesehen werden, zeigen ein Bild, dass die Türkei in einem Wachstumsprozess war und jetzt von Feinden von innen bekämpft wird.“ Europa, der Nahe Osten und quasi die ganze westliche Welt würden als Feind dargestellt.

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Die türkischen Medien wären laut Experten größtenteils gleichgeschaltet

Kritische Distanz zu Medien fehlt

Den Türkeistämmigen würde es an Reflexion fehlen, folgert der Integrationsexperte. Für sie sieht es so aus, als ob die ganze Welt die Türkei in Bedrängnis bringen will. „Nur einer beugt sich dem nicht - und das ist Erdogan.“ Die Tendenz würde sogar noch stärker werden, denn früher gab es zumindest eine große Vielfalt an türkischen Medien. Heute fehlt Güngör die kritische Distanz der Türkeistämmigen in Österreich. „Das führt dazu, dass sie alle Kanäle, die ein anderes Bild gezeigt hätten, nicht schauen.“ Damit hätten sie ein relativ kleines, stabiles Weltbild.

Kaum bis gar keine Auswirkungen sieht Güngör in der Ankündigung der Regierung, sieben Moscheen zu schließen und zahlreiche Imame auszuweisen. Die Maßnahme ist nur bei den organisierten Türken ein Thema gewesen, sagte der Experte - vielen sei das eher egal. „Wir müssen stärker unterscheiden zwischen der politisch-medialen Funktionärsebene, die spricht, und wie es in weiten Teilen der Community aussieht, das ist nicht deckungsgleich.“

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Güngör fehlt die kritische Distanz der Türkeistämmigen zu türkischen Medien

Imamausweisungen: Effekt „sehr gering“

Die Themen in der Türkei seien viel stärker wahrgenommen worden, meinte Güngör. Eben die Konflikte im Nahen Osten und die Einstellung der westlichen Staaten gegenüber der Türkei. Der Effekt von angekündigten Imamausweisungen sei da „sehr gering bis kaum wahrnehmbar“ gewesen. Außerdem sieht Güngör ein Glaubwürdigkeitsproblem bei der österreichischen Regierung: „Man kann nicht den Türkeistämmigen hier antidemokratische Tendenzen vorwerfen und zugleich selbst zu den autoritären Regimen und Nationalisten von Orban bis Putin kein kritisches Wort fallen lassen.“

Türken feiern Erdogan-Wahlsieg in Wien

Dutzende Türken haben am Sonntagabend lautstark den Wahlsieg des türkischen Präsidenten Erdogan in der Favoritenstraße gefeiert.

Von den Türkeistämmigen in Wien erwartet Güngör einen Sinneswandel, Türkeistämmige würden zu gerne sagen: „Wir sind immer die Opfer, wir werden diskriminiert.“ Das müsse sich ändern, forderte der Experte. „Wenn wir nur nebeneinander leben wollen, brauchen wir uns keine Fragen stellen. Aber wenn wir miteinander leben, müssen wir uns auch kritische Fragen stellen können.“

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